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Bodil Bredsdorff

Die Mädchen aus der Villa Sorrento

Nr 140 | August 2011

gelesen von Simone Lambert

Dänemark in den fünfziger Jahren. Es ist Sommer. Bella lebt mit ihrem verwitweten Vater und dessen unverheirateter Schwester Helga in einer Villa am Fjord. Bellas Vater will wieder heiraten, Rigmor, die ihre Tochter Elinor mit in die Ehe bringt. Nach anfänglicher Skepsis freundet sich Bella mit ihrer gleichaltrigen Stiefschwester an.
Damit ziehen Veränderungen in die Familie ein. Die heran­wachsende Bella wird noch immer von Tante Helga als Kind bevormundet. Anders als die Tante nimmt Rigmor Bella in ihren Wünschen wahr. Sie näht ihr ein Ballkleid, das Bellas Prinzessinnen­träume belebt, während Tante Helga sich beleidigt zurückzieht. Bella erlebt Momente, in denen sie sich «fürchterlich glücklich» fühlt.
Helga, die nach einem traumatischen Erlebnis ihr persönliches Glück verloren gab, opponiert missmutig und eifersüchtig gegen die neue Ehe ihres Bruders, indem sie Elinor als unerzogen maßregelt und kontrolliert. Elinor hat Unfug im Kopf; ihre pubertäre Neugier, ihre Lebensfreude, ihre spielerisch erprobte Weiblichkeit provozieren Tante Helga in ihrem Freudeverzicht. Worte der Eltern können Helga nicht zur Vernunft bringen. Da geschieht ein Un­glück: Elinor setzt sich über das elterliche Verbot hinweg und läuft bei Tauwetter Schlittschuh. Sie bricht ein und ertrinkt. Bella kann den Verlust ihrer Stiefschwester und Freundin kaum verkraften und empfindet Schuld. Überaus genau nimmt sie wahr, wie ihre Mitmenschen auf den Tod, auf Leid und Trauer reagieren. Tante Helga bleibt kalt; sie kritisiert, dass Rigmor zusammen mit Bella die Uferstreifen abgeht, um die verschwundene Leiche zu finden. Ihre harten, verständnislosen Worte treiben Rigmor schließlich aus dem Haus. In Bella erwächst Hass gegen die Tante.
Als im Frühjahr Elinors lange verschollener Leichnam einem Fischer ins Netz geht, verrät sich Helga: sie hat das Unglück mit angesehen und nicht eingegriffen. Der Vater wirft sie aus dem Haus. Nach der Beerdigung kehrt Rigmor zurück. «Man sagt, die Zeit heile alle Wunden. Aber Leid ist keine Wunde, die die Zeit heilen kann. Leid ist größer, schwärzer, schwerer … ein Strandstein aus dem dunkelsten Granit, der im Meer langsam sinkt und den Grund nie erreicht.» Die Verarbeitung von Trauer ist der thematische Schwerpunkt des Buches, das auch um Freundschaft, erste Liebe und ums Erwachsenwerden kreist. Die Hilflosigkeit im Umgang mit Gefühlen, die sich bereits im ritualisierten Friedhofsbesuch zeigte, entwickelt sich zu einer Lebensbejahung, in der das Leid genauso Platz hat wie neue Formen von Freude. Helgas raumbeherrschende Starre dagegen hat keine Zukunft.
Bodil Bredsdorffs psychologisch fundiertes Drama, das im ver­haltenen Gewand einer Novelle auftritt, ruft im Leser lebendige und gefühlvolle Eindrücke hervor: Da sind spielerische Situationen zwischen den Mädchen, das leitmotivische Lied des Fischermädchens, bildhafte Andeutungen wie die Taube, die sich Bella für Elinors Grabstein wünscht und die bereits den Grabstein ihrer Mutter schmückt – ein Anzeichen, dass Bella den Tod ihrer Mutter erst jetzt verarbeitet – oder die Blutbuche, Symbol des unterschwelligen Leids in der Familie, die alles überschattet und schließlich gefällt wird.
Das poetische Buch entwickelt seine stille und subtile Geschichte auf dem Fundament einer lebensbejahenden Freude. Literarisch interessierten Jugendlichen und Erwachsenen wird es in kostbarer Erinnerung bleiben.