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Birte Müller

Nr 141 | September 2011

Glück kann nach Farbe riechen

Es gibt Momente im Leben, in denen man mit jeder Faser seines Körpers und seines Herzens die wunderbare Kraft des Lebens spürt. Ein Glücksgefühl, das einen ganz und gar durchflutet. Ich erinnere mich, dass ich solche Momente schon als Kind hatte, sie in der Natur erlebte. Nach der Schule suchte ich auf meinen Reisen in die ganze Welt nach genau diesem Gefühl – und fand es in den Wüsten Australiens oder in den abgelegenen Bergdörfern der Anden.
Und dann begann ich zu malen. Und da war es wieder, dieses große Glück des Lebens. Vertieft in ein Bild, zwischen meinen Farben und Pinseln fühlte ich es: Ich lebe, es ist alles gut! Und so machte ich das Illustrieren zu meinem Beruf. Natürlich war es nicht so, dass ich jeden Tag an meinem Schreibtisch in diesen Rausch geriet. Und es gibt auch immer Ablenkungen, wie das Telefon oder die viele Büroarbeit, die bei wohl jedem Beruf anfällt, selbst bei dem des Künstlers. Es erschienen von mir 15 Bilderbücher und eine Reihe von Pixi- und Kinderbüchern, und ich begann, mit Kindern Bücherworkshops zu machen – eine neue Dimension meines Berufes.
Als ich vor fast fünf Jahren meinen Sohn Willi bekam, den nun auch Sie durch die Reportage in dieser Ausgabe etwas kennengelernt haben, änderte sich mein Leben komplett. Ich konnte eine lange Zeit gar nicht arbeiten. Damals hatte ich gar nicht wirklich vorgehabt, eine Babypause einzulegen, höchstens zum Stillen. Mein Kind sollte sich in mein Leben einfach einfügen. Als ich dann aber Willi bekam, trat alles andere zwangsweise in den Hintergrund. Mein Schreibtisch stand leer, aber nun wurden die nahen Momente mit meinem Kind zum Glücksspender, der mir vorher das Malen und das Reisen gewesen war. Mittlerweile habe ich sogar ein zweites Kind. Für beide Kinder empfinde ich eine Liebe, die alles bisher Gekannte in den Schatten stellt.
Trotzdem ruft mich jetzt meine Arbeit wieder. Mein Schreibtisch schreit geradezu nach mir. Es ist die Zeit gekommen, in der ich meine Unzufriedenheit spüre darüber, dass ich so wenig zum Malen komme. Es ist, als sei ich nicht ganz ich, gehört das Malen doch zu mir als Mensch, so wie nun auch meine Kinder zu mir gehören.
Das ist das Zeichen für mich, dass mein altes Leben langsam zurückkehrt. Aber ganz die alte bin ich doch nicht. Die Erfahrungen der letzen Jahre – besonders durch die Behinderung meines Sohnes Willi – haben mich verändert. Ich bin gespannt, wie sich dadurch meine Arbeit verändern wird. Etwas von dem, was ich in den letzen Jahren gefühlt und gelebt habe muss aus ihr wieder herausstrahlen – und sie muss eine neue Dimension gewinnen. Diese Erwartungshaltung macht mir das Arbeiten aber auch wiederum schwer. Und es erschwert den kreativen Prozess, wenn man seine Kinder hinter der Tür nach Mama jammern hört oder sich die vier Stunden Krippe wie ein sich schließendes Zeitfenster für die eigene Kreativität anfühlt.
Eine neue Fassette meiner Arbeit ist das Schreiben geworden. Es hilft mir, die Erlebnisse und Eindrücke meines Alltags zu verar­beiten. Die Zeichnungen zum Buch von Brigitte Werner, Denni, Klara und das Haus Nr. 5, waren für mich der ideale Wiedereinstieg in meinen Beruf. Es war, als würde mein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom und der Text von ihr über ein Kind mit Down-Syndrom eine Schnittmenge ergeben, in der ich mich bewegen konnte.
Und je größer in Zukunft mein Zeitfenster wird, umso öfter kann ich auch wieder zwischen meinen Pinseln und duftenden Farben sitzen und mich hoffentlich wieder öfter in das Glücksgefühl des Malens, Zeichnens, Stempelns und Collagierens fallen lassen. – Sie dürfen gespannt sein auf die Bücher, die kommen.