Georg Schramm im Gespräch mit Ralf Lilienthal

Sagen, was verschwiegen wird

Nr 145 | Januar 2012

$Wer das Kabarett kennt, kennt ihn und würde doch auf der Straße ohne aufzumerken an ihm vorbeigehen – Georg Schramm. Der mit der Armprothese, «Dombrowski», die wahrscheinlich einzige kabarettistische Figur, die aufbrandenden Beifall mit ärgerlicher Handbewegung zum Schweigen bringt. Dombrowski, bekennender Preuße, ein Schimpfierer, der gelegentlich Sachen sagt, die ihm selbst die Sprache verschlagen, so klug sind sie. Georg Schramm. Der mit der hellgrauen Bundeswehr-Offiziersjacke, «Oberstleutnant Sanftleben», der gerne ein Glas über den Durst trinkt und Scherze unter der Gürtellinie macht und so unbekümmert Stammtischwahrheiten verkündet, dass
die Stammtischpatrioten ihn darum beneiden dürften. Georg Schramm. Der alte hessische Sozialdemokrat, «August», der kaum einen Satz richtig zu Ende sprechen kann, dabei aber Sätze raushaut, deren resignativ-melancholische Botschaften ohne Umweg unter die Haut gehen. Georg Schramm, gelernter Panzersoldat, gelernter Psychologe, gelernter Betriebsrat, der in seinen Rollen so vollkommen aufgeht, dass man minutenlang nicht glauben kann, tatsächlich ihm und nicht irgendeinem Komparsen gegenüberzusitzen, während er längst bereitwillig und ohne jede Starattitüde in ein Gespräch eingestiegen ist, an dessen Verlauf er um der Sache willen ehrlich interessiert ist.§

Ralf Lilienthal | Kabarettist ist nicht gerade ein klassischer Ausbildungsberuf. Und ein Blick auf die Großen der Zunft legt nahe, dass eigentlich nur die Summe der Biographie hinreicht, deren Wirksamkeit zu verstehen. Wo liegen die frühen Wurzeln des Kabarettisten Georg Schramm?

Georg Schramm | Ich bin 1949 geboren und in Bad Homburg, damals die Stadt mit der höchsten Millionärsdichte, in äußerst kargen Verhältnissen aufgewachsen. Mein Vater war Hilfsarbeiter, Alkoholiker und das schwarze Schaf der Familie. Dass ich das einzige Proletenkind auf dem Gymnasium war, verdanke ich dem Sputnik-Schock und dem Versuch der hessischen SPD, die Bildungsreserven des Landes auszuschöpfen. Ich war Außenseiter, wollte nicht so sein wie die anderen, wollte aber auch nicht als jemand erkannt werden, der anders ist. Klassenkaspar und Klassensprecher! Das prägt und macht bis heute meine ironische Stärke aus.

RL | Gab es Anleitung in angewandter Ironie? Lehrer, die Ihr Dilemma begriffen und Ihnen über den Abgrund geholfen haben?

GS | Nein. Aber es gab meine Mutter. Eine sehr bewusste und lebenskluge Sozialdemokratin. Eine einfache, ungebildete Frau, trotzdem sehr gescheit und voller Herzensbildung. Und es gab Tucholsky, dessen sämtlicheWerke ich geschenkt bekommen hatte und den ich von vorne bis hinten und wieder zurück gelesen habe. Ich habe unendlich viel daraus gelernt. Inhaltlich und was die Feinheiten der Sprache betrifft. Eine Zeit lang habe ich im Tucholsky-Stil Rezensionen über mich geschrieben und mich total verrissen!

RL | Und wie war Ihr Zugang zum Kabarett selber?

GS | Ich kannte – allerdings nur aus dem Fernsehen – die Münchener Lach- und Schießgesellschaft. Dieter Hildebrand vor allem, der – rückblickend betrachtet – ein Stück demokratische Kultur der Bundesrepublik ist. Dazu noch Lore Lorenz und das Kom(m)ödchen. Und die Stachelschweine.

RL | Und weil Sie irgendwann auch Kabarettist sein würden, haben Sie sich als Zeitsoldat bei der Bundeswehr verpflichtet!

GS | Genau! Nein, tatsächlich hatte ich nicht den «Mumm», den Kriegsdienst zu verweigern. Außerdem wollte ich meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen und bin mit einer klaren Kalkulation dorthin gegangen. Mit 15.000 DM Abfindung und regelmäßiger Semesterferienarbeit wollte ich ein Studium finanzieren. Eine Rechnung, die allerdings nicht aufging. Am Ende der Offiziersausbildung gab es wegen «disziplinarischer Schwächen und negativem Einfluss auf die Offiziersanwärter» eine Fünf in «Charakter und Persönlichkeit». Unabhängig von meinen anderen Leistungen war ich durchgefallen, und die Hälfte meiner Abfindung war weg.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

RL | Eine Entscheidung, die die Bundeswehr mit Blick auf «Oberstleutnant Sanftleben» bis heute bereuen dürfte! Auch der Psychologe Schramm hat sich in viele Bühnenprogramme hineingeschrieben. Wie kam es zu dieser Berufswahl?

GS | «Du kannst doch gut reden!Warum studierst du nicht Psychologie? Das Fach hat Zukunft.» Solche Sprüche im Bekanntenkreis haben mich letztlich in die Hörsäle der Bochumer Universität gelotst, wo mich ein sehr amerikanisiertes Fach erwartete. Lehrbücher in Englisch. Sehr viel Mathematik. Tatsächlich habe ich mein Studium nicht in die Tiefe getrieben, sondern mich lieber politisch weitergebildet. Kabarettistisch folgenreich war dann nach dem Examen mein Einstellungespräch an einer neurologischen Reha-Klinik am Hochrhein. Der Personalchef, dem mein Vollbart und die langen Haare missfielen, entdeckte drei fehlende Jahre in meinem Lebenslauf. Meine Antwort ließ ihn aufhorchen. «Bundeswehr? Freiwillig? Welche Waffengattung, wenn ich fragen darf?» – «Ich bin Panzermann!» – «Nein! Das verheimlichen Sie mir?» Dann hat er alles über den neuen Leopard wissen wollen. «Dolles Ding!» In der Beurteilung hieß es später: «Den Mann nehmen wir, der ist gut!» Daraus wurde die erste Kabarettnummer, die ich in meinem Leben geschrieben und die ich dann zehn Jahre gespielt habe. Später hat sich herausgestellt, dass der Personalchef bei der Waffen-SS gewesen war und berüchtigte Kamaradentreffen organisiert hat.

RL | Sie waren dann immerhin zwölf Jahre Klinik-Psychologe und fest im bürgerlichen Leben installiert. Was hat ihr «innerer Kabarettist» dazu gesagt?

GS | Ihm fiel auf, dass ich zwar die Rolle eines Psychologen glaubwürdig spielen konnte, dass ich aber als echter Psychologe schlechter und schlechter wurde, mit meinem Berufsbild nicht mehr klar kam und ernsthaft über eine Gewerkschaftskarriere nachzudenken begann. Und dass mich die Vorstellung beunruhigt hat, so weiterzumachen, bis ich irgendwann eine Eigentumswohnung im Altersheim erwerben würde. In dieser Zeit kam das Angebot eines Freundes,bei der Gründung einer Laienspielgruppe mitzumachen. Zwei Jahre später sind wir dann mit einem Kabarettprogramm aufgetreten.

RL | Und der kometenhafte Aufstieg des Georg Schramm begann?

GS | Falsches Bild! Das Aufstiegstempo hatte nichts von einem Kometen, dafür ist aber das Abstiegstempo so langsam, dass ich bis heute nicht verglüht bin. Die Entscheidung, meine bürgerliche Existenz aufzugeben und als Unbekannter zu starten, war der Mut der Verzweiflung. Und was ich auf der Bühne tat, war der Mut der Ahnungslosigkeit, verbunden mit dem blinden Drang, systematisch gegen die Erwartungen der Zuschauer anzuspielen. Das hat dann den kleinen Ruhm begründet: «Der macht etwas völlig anderes.» Tatsächlich hat es Jahre gedauert, bis ich mich auf niedrigem Niveau stabilisiert hatte.

RL | Als dann später im Scheibenwischer die Kehraus-Monologe ihrer Dombrowski-Figur zur Institution wurden, kam ganz Kabarett-Deutschland in den Genuss einer wirklich originären neuen Variation des Spott-Genres. In Ihren Bühnenrollen kommentieren Sie nicht nur, zugleich spielen Sie diese Rollen, teilweise dialogisch, wie ein veritabler Schauspieler.

GS | Das Einpersonenkabarett ist eigentlich ausmateriellen Gründen geboren, da man als Ensemblemitglied selten eine Familie ernähren kann. Ohne Mitspieler fehlen aber auf der Kabarettbühne bestimmte emotionale Elemente. Das wird durch meine Figuren teilweise wieder aufgehoben, indem ich sie nicht nur andeute, sondern versuche, in sie hineinzukriechen. August zum Beispiel – viele Zuschauer haben ihn deswegen ins Herz geschlossen, weil er ein Familienmitglied sein könnte. Mit seiner ganz eigenen Sicht auf die Dinge bewegt er sich immer in der Nähe dessen, was wir für wahr und wichtig halten. Das ist zu Dombrowskis intellektuellem Bombardement ein unverzichtbares Gegengewicht in meinen Programmen.

RL | Wer Dombrowskis scharfsinnigen Überlegungen folgt, wird immer wieder auf die manipulative Macht der Sprache aufmerksam gemacht – einThema, das sich durch Ihre Programme durchzieht?

GS | Das stimmt. Ich habe von klein auf ein Gespür dafür entwickelt, was jemand meint, auch wenn er es nicht sagt. Sprache kann ein sehr wirksames Herrschaftsinstrument sein. In einem früheren Programm habe ich fast eine halbe Stunde lang in Motivations- und Moderatorensprache zum Publikum geredet. Immer in der Hoffnung: Wer darauf hereinfällt, wird beim nächsten Mal vielleicht merken, dass er manipuliert werden soll.

RL | Es sei denn, er wurde bereits Opfer der «systematischenVerblödung», wie Dombrowski das nennt.

GS | Das ist keine Floskel! Nehmen Sie die Schule. In jeder Festtagsrede hören wir, dass wir in einem Land ohne Rohstoffe leben und unsere wertvollste Ressource die Bildung ist. Tatsächlich lässt die selbsternannte bürgerliche Elite unser Bildungssystem regelrecht verkommen. Ihr geht es gar nicht um die bestmögliche Bildung aller, sondern um Selektion und Auslese. Es geht ihr um Verführbarkeit und Konsum – oben eine solide Elite, unten Menschen, die man dazu bringen kann, jeden Mist zu kaufen.

RL | Was geht in jenen vor, die man als Akteure der systematischen Unterdrückung ausmachen kann?

GS | Diese Frage beschäftigt mich unentwegt. Wie geht es jemandem, der so systematisch lügt? Hat er keine Angst, dass man ihm dahinterkommt? Aber das ist zu naiv. Ich habe das deutliche Gefühl, diese Menschen glauben zumeist, was sie sagen. Genau wie bei Helmut Kohls legendärem Ehrenwort. Ich fürchte, er glaubt bis heute, er stehe über dem Gesetz,was ja ungeheuerlich ist!

RL | In Meister Yodas Ende, Ihrem aktuellen Bühnenprogramm, stimmen Sie reichlich melancholische, pessimistische Töne an – wohin geht Ihre kabarettistische Reise zukünftig?

GS | Ich habe über die Jahre hinweg viele Dinge vernachlässigt. Auch wenn ich weiterhin Sand ins Getriebe schütten möchte, reduziere ich systematisch meine Auftritte. Gleichzeitig versuche ich – im Rahmen meiner materiellen Möglichkeiten –, mich in der unmittelbaren Umgebung nützlich zu machen. Denn es gibt dort wirklich fördernswerte Projekte. Zum Beispiel bei einem Demeter- Gemüsehof, der auf der Basis privater Kredite gute Waren produziert,behutsam expandiert und dadurch in der Region Arbeitsplätze schafft. Oder die Stromrebellen aus Schönau, die ich von Anfang an aus der Nähe erlebt habe – Menschen die mit einer unglaublichen Kraft für ihre gute Sache arbeiten.

RL | Außerdem haben Sie an der Waldorfschule Ihres Sohnes ein Projekt mitinitiiert, in das Ihre eigenen, bitteren Erfahrungen einfließen.

GS | Ja,wir haben mit Benefizauftritten den Grundstock für einen Förderverein gelegt,der Familien hilft, die in materielle Bedrängnis geraten sind und sich Klassenfahrten und Ähnliches nicht mehr leisten können. Dabei handelt es sich ja keineswegs um Einzelschicksale. Es wird weitgehend totgeschwiegen, dass in den letzten zehn Jahren die deutsche Mittelschicht um über fünf Millionen Menschen kleiner geworden ist – fünf Prozent sind aufgestiegen, 95 Prozent sind abgestiegen. Die Bedeutung der Herkunft für das spätere Berufsleben ist wieder erschütternd dominant geworden.