Frank Berger

1 Jahr nach Fukushima - und morgen?

Nr 146 | Februar 2012

Als Autofahrer ärgere ich mich oft darüber, dass es offensichtlich vielen Verkehrsteilnehmern völlig egal ist, wie es denen geht, die nach ihnen kommen. Gemütlich rollen sie auf eine rote Ampel zu und hindern so die Fahrzeuge hinter ihnen daran, auf die Abbiegespur zu gelangen.

Überhaupt ist es uns offenbar zunehmend egal, wer oder was nach uns kommt. Wir leben, als gäbe es kein Morgen. Und selbst angenommen, die Welt würde uns dennoch überleben – zugegeben, ein eher unwahrscheinlicher Fall –, kümmern uns die, die dann unsere Hinterlassenschaften schultern und ertragen müssen, herzlich wenig. Diese Haltung ist nicht neu. Schon Goethe konstatierte um 1820 in seinem West-Östlichen Divan:

Einer will nur wie der andre,
Was die Eigenliebe heischet …
Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet …

Doch die, die morgen leben, sind unsere Kinder, Enkel und Urenkel, nicht irgendwelche abstrakten statistischen Größen. Es werden diese Menschen sein, die noch nach 30 Generationen, wie Experimente gezeigt haben, zum Beispiel unter den genetischen Veränderungen zu leiden haben werden, die bereits durch geringe Dosen radioaktiver Strahlung bewirkt werden – Veränderungen, die in ihrem vollen Ausmaß erst in der dritten bis fünften Generation, in manchen Fällen sogar erst in der dreißigsten Generation, also nach etwa 1000 Jahren, offenbar werden.

Ganz gleich, ob es um die Radioaktivität, den Klimawandel, den Umgang mit der Tier- und Pflanzenwelt, die endlichen Ressourcen oder die atmosphärischen Hüllen unserer Erde geht: Es wird höchste Zeit, endlich anzufangen, so zu leben, dass die klar prognostizierten bedrohlichen Zukunftsszenarien nicht eintreten. Dies wird nur gelingen, wenn wir in unserem Handeln von heute das Morgen und das Übermorgen mitberücksichtigen. Auch diesen Appell hat wiederum Goethe formuliert:

Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln, unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.


Aus Stuttgart grüßt Sie ganz herzlich
Frank Berger