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Irene Johanson

Altes kann Neues erzählen

Nr 146 | Februar 2012

Irene Johanson schöpft in dieser freien Nacherzählung des Alten Testaments aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung als Pfarrerin und Religionspädagogin und gibt die bekannten und weniger bekannten mythisch-historischen Geschichten einleuchtend und spannend in zeitloser Sprache wieder: ein hervorragendes Beispiel, wie Kindern und Jugendlichen heutzutage die Inhalte des Alten Testaments vermittelt werden können. – Die künstlerischen Illustrationen von Ninetta Sombart runden dasWerk ab

Der Besuch der drei Engel

Nicht lange danach saß Abraham in der Mittagsglut vor seinem Zelt unter der großen Terebinthe im Hain Mamre. Er blickte auf und sah, dass Gott der Herr in der Gestalt dreier Männer zu ihm kam. Er lief ihnen entgegen, warf sich vor ihnen nieder und sprach: »O Herr, geh nicht an deinem Knecht vorüber, wenn ich Gnade vor dir gefunden habe! Ich will euch die Füße waschen lassen, will euch zu essen bringen … ihr möget unter diesem Baum ausruhen.« Die drei Männer sprachen: »Tue so, wie du gesagt hast«, und ließen sich unter dem Baum nieder. Abraham lief zu Sarah ins Zelt und sagte: »Back schnell guten Kuchen. Wir haben Gäste.« Er selber schlachtete ein Kalb, ließ es von Sarah zubereiten und setzte den drei Männern ein köstliches Mahl vor. Die fragten ihn: »Wo ist deine Frau Sarah?« Er antwortete: »Drinnen im Zelt.« Die Männer sprachen: »Über ein Jahr will ich wieder zu dir kommen. Dann wird deine Frau Sarah einen Sohn geboren haben.« Sarah hatte aber am Eingang des Zeltes gestanden und gelauscht. Als sie die Männer sagen hörte, dass sie Mutter werden würde, fand sie das töricht, denn sie meinte, sie und ihr Mann seien doch viel zu alt dazu. Wie konnte jemand nur sagen, dass ein 100-jähriger Greis und eine 91 Jahre alte Frau ein Kind bekommen würden? Sie fand das so unmöglich, dass sie lachen musste. Gott der Herr hörte ihr Lachen und sagte zu Abraham: »Warum hat Sarah gelacht? Gibt es denn irgendetwas, das für Gott unmöglich ist?Was er tut, ist niemals gegen dieWeisheit seiner Naturgesetze. Nur kennt ihr nicht die Fülle seiner weisen Gesetze. Das meiste ist euch verborgen. Ihr solltet nicht darüber lachen.« Da kam Sarah hervor und sagte: »Ich habe nicht gelacht«, denn sie fürchtete sich. Aber Gott der Herr sprach: »Doch, du hast gelacht.« Danach erhoben sich die drei Männer und wollten weitergehen.Abraham begleitete sie ein Stück des Weges. Zwei von ihnen gingen in der Richtung nach Sodom. Da dachte Gott der Herr: ›Soll ich vor Abraham ein Geheimnis haben? Soll ich ihm nicht sagen, was ich vorhabe? Ich habe doch einen Bund mit ihm geschlossen und ihn auserwählt, ein besonderesVolk zu werden. Alle anderen Völker der Erde sollen ja durch seinVolk gesegnet werden.‹ Und Gott der Herr sprach zu Abraham: »Jeden Tag kommen die Engel der Menschen zu mir, die in Sodom und Gomorrha wohnen, und klagen und weinen über das böse Leben der Menschen in diesen beiden Städten. Nun will ich erkunden, ob es so schlimm ist, wie die klagenden Engel es sagen, und wenn es so ist, will ich die beiden Städte vernichten.« Abraham erschrak. In Sodom wohnte ja auch sein Brudersohn Lot mit seiner Familie. Er blieb stehen und sprach: »O Herr, willst du wirklich die Gerechten mit den Schuldigen zugleich untergehen lassen? Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt.« – »Wenn es fünfzig Gerechte in Sodom gibt, will ich um der Fünfzig willen die Stadt erhalten«, sprach der Herr. »Vielleicht fehlen an den Fünfzig nur Fünf. Willst du dann wegen der Fünf die Stadt vernichten?«, fragte Abraham.
»Wenn es Fünfundvierzig sind, will ich die Stadt auch erhalten«, erwiderte der Herr. »Verzeih, o Allherr, wenn ich noch einmal zu dir spreche«, sagte Abraham, »aber wenn es nur vierzig Gerechte sind, wirst du dann die Städte Sodom und Gomorrha vernichten? « – »Um der vierzig Gerechten willen werde ich die Städte erhalten«, sprach der Herr. »Bitte zürne mir nicht, wenn ich nochmals frage«, sagte Abraham, »aber vielleicht finden sich doch nur dreißig Gerechte?« – »Ich will ihnen nichts tun, wenn es nur dreißig sind«, sprach der Herr. »Und wenn es zwanzig sind?«, fragte Abraham. »Auch dann will ich ihnen nichts tun«, sagte der Herr. »Bitte zürne nicht, Herr, wenn ich, der ich aus Staub und Asche gemacht bin, dich, den Allherrn, noch einmal frage: Was wirst du tun, wenn nur zehn Unschuldige in Sodom und Gomorrha leben?« – »Ich werde sie um der zehn Gerechten willen nicht vernichten«, sprach der Herr. Damit beendete er das Gespräch mit Abraham und ging fort.Abraham kehrte nach Hause zurück.