Sophie Rosentreter im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Das Leuchten in den Augen

Nr 147 | März 2012

Eine junge Frau macht eine Traumkarriere, wie sie sich nicht wenige junge Mädchen wünschen: Sie nimmt mit 16 an einem TV-Modelwettbewerb teil, kommt unter die ersten sechs – und wird erfolgreiches Model. Reisen in die großen Modemetropolen der Welt gehören bald so zu ihrem Alltag wie Wochen vorher die Schulbank. Der Traum geht weiter: Die junge Frau, Sophie Rosentreter, macht mit 23 ihr Abitur, wird von dem Musiksender MTV als Moderatorin entdeckt, interviewt Stars und posiert für viel Geld für den Playboy. 2004 wechselt sie hinter die Kamera und arbeitet als freischaffende Redakteurin für Film- und Fernsehproduktionen, produziert Reportagen und Porträts für stern TV.
Und dann, 2009, taucht sie völlig in ein anderes Thema ein: Demenz. Sophie Rosentreter gründet eine eigene Firma, «Ilses weite Welt», deren Ziel die Unterstützung Demenzkranker, ihrer Angehöriger und Betreuer mithilfe von Filmen und Begleitmaterial ist, denn: «Das ist meine Herzensangelegenheit, die ich nie mehr lassen werde. Es geht um das Leuchten in den Augen der alten Menschen, als gemeinsames Erlebnis, das mich immer wieder bewegt. Diese Arbeit gibt mir eine Befriedigung wie nichts zuvor.»

Doris Kleinau-Metzler | Frau Rosentreter, Demenz ist eher ein abschreckendes Thema, denn wer will sich schon mit so etwas Deprimierendem befassen, bevor es vor derTür steht?

Sophie Rosentreter | Genau das ist ja das Problem, dass man wegschaut. Das Wegschauen hat viel mit Unwissenheit und Angst zu tun. Hinter dem Thema Demenz steht natürlich das Thema Tod, über das wir offen sprechen müssen, auch schon im Kindesalter, damit diese diffuse Angst eine Chance hat, sich zu verwandeln.

Denn der Tod gehört zum Leben – und das ist gut so.Wäre unser Leben unendlich, es wäre keinesfalls gut: Nichts wäre mehr etwas Besonderes, Einmaliges, etwas, das uns so beeindruckt, dass wir es nie vergessen. Aber mein Hauptanliegen ist, Verständnis für Demenz zu ermöglichen und so das einseitige gesellschaftliche Bild von Demenz als «langem Abschied» und schlimmstem Schicksal zu erweitern. Denn auch in der Demenz gibt es Hoffnung, gibt es erfüllte Augenblicke für die Betroffenen und gibt es tatsächlich etwas Gutes, vor allem für die Menschen um die Demenzkranken wie Angehörige, Ehrenamtliche und Betreuer – wenn sie sich darauf einlassen. Der Umgang mit dementen Menschen entschleunigt uns, wir können unser «Schneller, Schneller» und «Mehr, Mehr» nicht bei ihnen anwenden. Man kann sie letztlich nur erreichen, wenn man ehrlich ist, denn sie merken, ob man ein Programm abspult, einer Pflicht nachkommt. Man muss in Ruhe hinschauen und wahrnehmen, wo das Gegenüber innerlich ist, und registrieren, was meine eigenen Erwartungen sind. Manchmal reicht es, nur still neben einem solchen Menschen zu sitzen, ihn zu berühren oder etwas zu singen statt ihm ständig aus einer Welt zu erzählen, die nicht mehr seine ist. So eine Begegnung kann dann wie ein Rückbesinnen für uns sein, ein Hören nach innen, weg vom eigenen Ego, bei dem es so oft nur um Ziele, um Erfolge geht. Darin liegt eine Chance. Es gehört zum Schönsten, was ich erlebe, in einem Pflegeheim einem alten Menschen gegenüberzusitzen und ihn auf einmal zu erreichen. In diesem einen Moment, wenn man jemand erreicht, ein Lächeln geschenkt bekommt, spürt man sich ganz im Hier und Jetzt, ist dem anderen Menschen nahe. Das ist mehr wert als alles Geld. Selbst in einem Interview lässt sich das nicht festhalten, dieser Moment, der einen im Herzen erreicht.

DKM | Sie schildern es sehr berührend. Aber wie sind Sie nach ihrer erfolgreichen und vielseitigen Karriere auf das Thema «Demenz» gekommen? Die Schule mit 16 abzubrechen, um als Model zu arbeiten – aus der Sicht von Eltern vielleicht nicht unbedingt ein idealer Berufsstart für die Tochter.

SR | Meine Mutter wäre so gerne Sängerin geworden, aber damals galt: Solide Frauen machen so etwas nicht! Frauen werden Hausfrauen und Mütter, brauchen auch kein Studium. Als ich dann durch den Vorschlag der Mutter eines Schulkameraden zum Model-Contest kam und unter die ersten Sechs (Heidi Klum wurde Erste), sagte meine Mutter: Ich durfte damals nicht tun, was mir wichtig war,meineTochter soll ihre Träume verwirklichen dürfen.
Es war sicher unendlich schwer für sie und meinen Vater, mich mit 16 nach Paris zu bringen und zu wissen, dass ich dort drei Monate allein wohne. Aber sie wollten, dass ich meinen Traum, meine Möglichkeiten lebe – und ich bin sehr, sehr dankbar dafür, dass sie mir die Chance gegeben haben. Eigentlich war ich damals eher verträumt und wollte Tierärztin werden. Durch die Arbeit in der Modewelt und das Reisen hat sich dann mein Horizont schnell erweitert: Ich tauchte in eineWelt ein, die so anders war als mein bisheriges Lebens als Teenager; es gab andere Probleme, unerwartete Herausforderungen und Möglichkeiten. Aber nach drei, vier Jahren merkte ich: Das ist nicht das Leben, das ich möchte.

  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

DKM | Also doch kein Traumberuf, Model?

SR | Es ist von Anfang an zeitlich begrenzt, und wenn man nicht den Willen hat, seinen Horizont zu erweitern, ist es ein sehr einseitiges Business, weil nur die äußere Hülle zählt und man immer mehr verdummen und vereinsamen kann. Erfüllung habe ich durch das Reisen gefunden, darin, in neue Länder, Städte, einzutauchen, mich von der Atmosphäre dort aufsaugen zu lassen. Aber dieser Reiz war irgendwann vorbei. Ich bin zurück nach Hamburg gegangen, um mein Abitur nachzumachen. In den nach dem Abitur folgenden fast sechs Jahre bei MTV konnte ich durch die Interviews faszinierende Menschen kennenlernen, war auf tollen Festivals und Events. Eine große, schöne Seifenblase, aber es hallte nicht in mir nach, war irgendwann nicht mehr spannend. Es dürstete mich sozusagen nach Menschlichem, sodass ich mich entschloss, nicht mehr vor, sondern hinter der Kamera zu arbeiten, an Geschichten, Themen, über Menschen, die mich wirklich interessierten.

Die Arbeit an den stern-TV-Reportagen, bei denen ich
von A bis Z alles selbst gemacht habe (bis hin zu Schnitt, Musik und Ton), hat mir großen Spaß gemacht, aber es war auch harte Arbeit, zu der manchmal Scheitern gehörte, wenn einem Privatsender beispielsweise das Reißerische an einer Geschichte fehlte.


DKM | Was führte Sie zum Engagement für das Thema Demenz?

SR | Die Demenz meiner Großmutter und meine Kindheit. Omi
hat im selben Haus wie wir in einer eigenen Wohnung gewohnt. Jeden Tag haben wir uns gesehen, waren mit meiner Mutter eine Dreier-Frauen-Clique. Ich bin mit so viel Liebe und Zärtlichkeit überschüttet worden, wir hatten viel Fantasie und haben immer viel gelacht. Ich habe Familienwerte erfahren, aber auch eine freilassende Haltung. Diese 16 Jahre haben Tiefe und Halt für die Zukunft fest in mir verankert.Als ich in den letzten Stunden am Sterbebett meiner Großmutter saß, habe ich nochmals realisiert, dass es nicht darauf ankommt, was du im Leben erreicht hast, sondern wen du erreicht hast.Omi hat mich erreicht.Das ist mehr wert als alles andere, dafür bin ich so dankbar. – Meine Großmutter erkrankte 2000 nach Aussagen des Arztes an Alzheimer, aber schon eineinhalb Jahre vorher war sie «komisch» geworden, denn sie konnte die Zeit nicht mehr richtig einordnen, verlor ständig etwas und wurde manchmal aggressiv. Aber mit der Diagnose wurden wir alleingelassen und dachten – wie viele Ehepartner oder Kinder auch heute: «Das gehört dazu. Wir müssen es allein schaffen, damit fertig zu werden.» Nein, muss man nicht!Woher soll man wissen, wie man mit der Krankheit umgehen kann? Man muss Informationen haben und sich Hilfe holen können. Das war damals alles nicht möglich. Es gab Stürze, Beschimpfungen, viele Tränen; wir haben so vieles einfach nicht gewusst.Meine Mutter ist bei der Betreuung meiner Großmutter an ihre Grenzen gegangen; irgendwann reichte auch die ambulante Pflege nicht mehr aus, und Omi kam in ein Heim, wo sie noch zwei Jahre lebte.

DKM | Wie erlebten Sie Ihre Großmutter dort im Pflegeheim?

SR | Von der Pflege her war es ein sehr gutes Heim, von der Therapie her eine Katastrophe. Das Problem entsteht auch aus der Bewertung des medizinischen Dienstes der Krankenkassen, für den Protokolle über die Pflege abgearbeitet werden müssen, obwohl es doch vor allem darum gehen muss: Wie geht es dem Menschen hier? Sicher ist das nicht so einfach messbar und nachweisbar.
Jedes Mal, wenn ich meine Großmutter im Heim besuchte, saß sie allein auf einem Sofa oder lag im Bett und starrte an die Decke. Es gab dort nichts, was sie in ihrer inneren Welt erreichen konnte oder womit sie sich ein bisschen beschäftigen konnte. Aber Omi war froh, dass jemand da war. Man braucht kein Unterhaltungsprogramm abzuspulen, einfach nur da sein, auch zusammen schweigen können, vielleicht einen kleinen Spaziergang machen, zusammen Musik hören oder einen Film schauen ist so viel. Über diese Gemeinsamkeit kommt man sich nahe, ergibt sich vielleicht ein kleines Gespräch. Doch jedes Mal, wenn ich Omi verlassen habe, ist mir das Herz gebrochen,weil ich wusste, dass sie die nächsten Stunden nur daliegt, deshalb wollte ich etwas für sie dalassen.Weil ich aus dem Filmbereich komme, stellte ich mir einen Film vor, der sie wie eine warme Bettdecke umhüllen könnte, der Bilder zeigt, die ihr etwas sagen. Aber ich fand nichts Passendes. Dann hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als ich meine andere Großmutter im Pflegeheim besuchte, wo die alte Dame fast den ganzen Tag stumm vor dem Fernseher wie abgestellt saß. Irgendwann sagte sie auf einmal: «Krombacher». Sicher,weil die Bierwerbung mit den schönen Naturbildern tief in ihr verankert war. Das heißt, auch wenn die Menschen sich nicht mehr mitteilen können, verstehen und sehen sie doch sehr viel! Aus dieser Erkenntnis entwickelte ich meinen ersten Film, von dem ich mir vorstellte, dass Omi ihn gern sehen würde, Ein Tag im Tierpark. Leider ist Omi vor Fertigstellung des Filmes gestorben. Auf ihrer Beerdigung lernte ich Dr. Jens Bruder, Gerontologe und Mitbegründer der Alzheimer Gesellschaft kennen, der mich ermutigte, weiterzumachen. Wir haben dann den fertigen Film in einem Pflegeheim zusammen getestet und erlebt, wie diese mit langen Einstellung gedrehten ruhigen und natürlichen Szenen mit Kindern und Tieren auf die alten, «verwirrten» Menschen wirkten – magische Momente, die zeigten, dass man die Zuschauenden erreicht hatte. Daraus entstand meine Firma, Ilses weite Welt, auch in Erinnerung an meine Großmutter. Ich habe eigenes Geld investiert, Unterstützung erhalten und lasse mich von Experten beraten, was wir tun können, um Filme und Materialien für Menschen mit Demenz zu entwickeln, die sie in ihrer inneren Abgeschlossenheit erreichen - und manchmal ein Lächeln in ihr Gesicht zaubern. Inzwischen haben auch Krankenkassen und Pflegeheime Interesse an dem Konzept. Ja, ich gehe davon aus, dass ich auch einmal dement werde, und hoffe, dass das Verständis für Demenz wächst – dass man, wenn ich später mal im Sommerkleid im Winter unterwegs bin und beim Bäcker einfach eine Brezel nehme, ohne zu bezahlen, nicht als Erstes die Polizei ruft, sondern auf mich zugeht, mir Zeit lässt. Ungewöhnliche Erscheinungsbilder alter Menschen können eine Bereicherung sein, «unperfekt ist perfekter als perfekt», sagte mir jemand dazu. Das gehört zum Menschlichen in seiner ganzen Vielfalt.