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Ernst-Michael Kranich

Heiterkeit – Lesen im Buch der Natur

Nr 148 | April 2012

Es ist sinnvoll, sich den Unterschied der Heiterkeit von einer ihr nahestehenden Seelenregung, der Freude, bewusst zu machen. In der Freude öffnet sich die Seele der Welt und gibt sich an das Positive und Schöne hin. Auch Heiterkeit wird von äußeren Eindrücken erregt. Was sie kennzeichnet, ist aber nicht Hingabe, sondern ein inneres Leben, das vor allem durch Leichtigkeit und innere gelöste Beweglichkeit charakterisiert ist.

«Neben dem Zuge des Sonnigen, der Lichthaftigkeit ist es noch derjenige des inneren Auftriebs, des ‹Gehobenseins›, der Leichtigkeit und Befreitheit, der dem Erlebnis der Heiterkeit wesenhaft zugehört», so beschreibt Philipp Lersch in seinem Buch, Der Aufbau der Person, die Heiterkeit. Sie gehört nicht zu den Gefühlen, die durch Eindrücke immer wieder neu entfacht werden und die Seele an diesen oder jenen Eindruck binden, sondern zu den mehr bleibenden Stimmungen, in denen die Seele aus innerer Regsamkeit lebt. Dieses innere Leben der Heiterkeit strahlt auf die Umgebung aus. So entstehen vielfältige Beziehungen und Kontakte. Dabei wird Dunkles aufgehellt und Schweres leicht. Das schlechte Wetter verliert seine trübe Stimmung, ein Missgeschick ist nicht gar so misslich, und auch das Schlimme enthält einen positiven Kern. Der inneren Gelöstheit ist alles Verkrampfte und Grüblerische fremd. So gehört Heiterkeit zu den glücklichen Veranlagungen. Durch sie vermag sich der Mensch von dem Schweren und Bedrückenden zu lösen, sich aus der Ver­engung im Selbsterleben zu befreien und der Welt zuzuwenden.
Damit hängt auch die Neigung zusammen, besonders in der Gegen­wart zu leben. Wenn beim unbeschwerten Aufgehen im Gegen­wärtigen Wohlgefühl entsteht, tritt die Heiterkeit im Ver­gnügtsein ein wenig in sich zurück. Hier zeigt sich eine etwas problematische Tendenz, die zum tändelnden Leben und zur Ober­flächlichkeit. Dem steht aber eine ebenso positive Seite gegenüber: das Gelten­lassen und Wohlwollen.
Will man die Heiterkeit mit wenigen Worten charakterisieren, dann wird man folgende Wesenszüge hervorheben: die innere Unbe­schwertheit der Seele; die Tendenz, sich leicht über das Bedrückende zu erheben; die Neigung, vielfältig mit der Um­gebung in Kontakt zu treten, ohne sich an die Dinge innerlich hinzugeben.
Man gewinnt den Eindruck, man habe zugleich auch die Wicken charakterisiert. Die Bewegungen der Seele in der Heiterkeit erscheinen in der Wicke wie in einer äußeren Form geronnen: die Unbeschwertheit in den von der Schwere so wenig beeinflussten Sprossen; das Sich-Erheben über Bedrückungen in dem so leicht aufwärts strebenden Wachsen; die Neigung zu Kontakten in der Hinwendung der Sprosse und vor allem der gefiederten Rankenblätter zur Umgebung; und die innere Regsamkeit, der die Hingabe fehlt, in den Blüten, die sich wohl zur Umgebung wenden, vor allem aber ein reich gegliedertes Inneres haben.
Das alles trifft auch für die Platterbsen zu. Die Platterbsen wirken sogar vielfach noch leichter und offener als die Wicken. Ihr Stängel ist oft geflügelt, d.h. einem Blatt ähnlich. In den Blättern treten die Ranken gegenüber den Fiederblättchen noch stärker in den Vordergrund. Vor allem sind die Blüten größer und mit ihrer Fahne stärker zur Umgebung gewendet. Dem entsprechen auch die vor­herrschenden Farben: gelb, rosa und rot. Die wohlriechende Wicke, die in den Gärten vielfach am Zaun gezogen wird und den Charakter freundlicher Heiterkeit so deutlich ausspricht, ist eine Platterbse (Lathyrus odoratus).
Heiterkeit ist eine Regung der Seele mit vielen Nuancen. Sie kann vergnügt und tändelnd ganz in der Beziehung zur Umgebung aufgehen. Es gibt aber auch eine verhaltene Heiterkeit, die nur zum leisen Lächeln führt. Heiterkeit kann mit innerer Abgeklärtheit der Seele, aber auch mit kindlicher Sanguinik gepaart sein. Die stark extrovertierte Heiterkeit tritt uns in den Platterbsen, die verhaltenere in den Wicken entgegen. – Wicken und Platterbsen blühen zwischen März und September, vor allem aber, wenn die Sonne im Juni und Juli am höchsten steht. So durchzieht der Ausdruck von heiterer Seelenstimmung in verschiedenen Schattierungen einen großen Teil des Jahres.