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Inge Ott

Freiheit! Sechs Freunde in den Wirren der Französischen Revolution

Nr 151 | Juli 2012

gelesen von Simone Lambert

Wie die Bremer Stadtmusikanten ziehen sechs Jugend­liche aus einfachen Verhältnissen aus, um in Paris die Revolution mitzuerleben. Aufgewachsen in einer Gesell­schaft, in der der Einzelne nicht viel zählt, hoffen sie dort etwas Besseres als Armut, Knechtschaft und Hunger zu finden: Mitbestimmung und Freiheit!
Zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt sind die Mitglieder des «Club 89», wie sich die Freunde aus dem Dorf Les Granges nennen – in Anlehnung an die Pariser Debattierclubs. Ihr jugend­licher Aufbruch ins Leben fällt zusammen mit ihrer Begeisterung für die politischen Umwälzungen. Doch gleich nach ihrer An­kunft in Versailles werden sie in einem Tumult auseinander­gerissen. Es wird Jahre dauern, bis sie sich wiederfinden und nach Hause zurückkehren.
Die sechs Freunde Pierre, Nicole, Clément, René, Marcel und Régine sind ein Kunstgriff der Autorin, um die Ereignisse des großen historischen Umbruches hautnah zu schildern. Sie geraten jeweils in das enge Umfeld der Parteien und der politischen und prominenten Köpfe der Zeit: Robespierre, Danton, der Journalist Hébert und diverse andere Akteure dieser Zeit begegnen ihnen im Zentrum der Metropole. Inge Ott beleuchtet dabei nicht nur die politische Entwicklung, sondern auch die Lebensbe­dingungen der Stände und die Arbeitsverhältnisse.
Das Phänomen Öffentlichkeit gewinnt in dieser Zeit an Un­mittelbarkeit und Nähe: Selbst der König ist eine reale Gestalt, derer viele ansichtig werden konnten. Vor allem aber wird deutlich, dass diese Revolution mit dem Wort gemacht wird – Reden und Zeitungsartikel spielen auch im Buch eine zentrale Rolle. Öffentlichkeit wird für machtpolitische Doppelspiele, Winkelzüge und Hinterhalte genutzt. Es entwickelt sich eine Situation, in der niemand dem anderen mehr trauen kann. Hungersnöte, Plünderungen und Gewalt sind an der Tages­ordnung. Offene Mordaufrufe, beispielsweise von Marat, führen zu grausamen Übergriffen. Die Revolution wird zur Tyrannei: das Verdächtigungsgesetz erlaubt schließlich eine Verurteilung ohne Zeugen oder Beweise. Menschenrechte, die Ideale der Revolution, werden ein Opfer des Fanatismus ihrer Akteure. Inge Otts Schilderungen sind ebenso präzise wie anschaulich und dramatisch – und voller Fragen an den Leser, etwa, wenn sie den König als Menschen von einiger Größe zeigt, ohne das nationale Desaster, für das er verantwortlich ist, zu leugnen.
Der Wunsch sich wiederzufinden hält die Freunde in diesen Wirren am Leben. Jeder von ihnen muss ein persönliches Handicap überwinden. Zwei von ihnen schaffen es nicht. Pierre stürzte sich blindlings in die Masse, ob bei der Bürgerwehr, den Soldaten oder den Konterrevolutionären, immer auf der Suche nach der richtigen Seite oder Sache. Er wurde dabei zum Mörder und Brandstifter, der sich über seine Taten entsetzt. Oder Nicole, die zu einem unschuldigen Opfer des Terrors wird, fragt noch auf dem Schafott den Henker gefügig, ob sie richtig liegt. Die anderen aber sind ihren Zielen näher gekommen und finden Heimat.
Das intelligente Fazit ihrer abenteuerlichen Jahre ist, dass Freiheit und Menschenrechte nur verwirklicht werden, wenn Menschen persönliche Humanität entwickeln – so wird Geschichte zum Zukunftsmärchen.

Aufgewachsen in einer Gesell­schaft, in der der Einzelne nicht viel zählt, hoffen sechs Freunde etwas Besseres als Armut, Knechtschaft und Hunger zu finden: Mitbestimmung und Freiheit!