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Thomas Neuerer

Virtuose aus der Generation PlayStation

Nr 152 | August 2012

Es würde fast genügen, ein Wort zu schreiben, um das Album des jungen Pianisten Benyamin Nuss zu empfehlen: Wunderschön!
Zentralwerk des Themenalbums Exotica ist Debussys dreiteilige Folge von musikalischen Bildern: Estampes.
Das Album gliedert sich in einen spanisch-südamerikanischen und einen orientalisch-asiatischen Teil. An den Beginn der musikalischen Reise setzt Benyamin Nuss Debussys La Soireé dans Grenade, wobei der Bezug zu Granada Orient und Okzident verbindet, da Debussy sich durch das arabisch geprägte Kolorit traditionell-spanischer Musik inspirieren lässt.
Pagodes mit seinen pentanonischen Skalen und der Imitation von Gamelan-Musik, war zu Debussys Zeit das wohl noch attraktivere Stück der Trilogie; Asien war um 1900 angesagt und faszinierte. Bei Debussy ist es das Entrée, Nuss rückt es ins Zentrum.
Jardins sous la Pluie, mit seinen ostinaten Läufen eine Etüde der Geläufigkeit, ist Finale bei Debussy wie Nuss und führt den Hörer wieder nach Europa zurück, genauer: in ein regnerisches Paris.
Eingeschoben sind Werke geläufiger wie auch unbekannter Komponisten, die dem jeweiligen Kolorit zugeordnet sind und die Farbpalette Debussys erweitern. Der Pianist selbst hat eigene Werke beigesteuert, mit denen er auch Zeitbewusstsein beweist (Elegie für Fukushima). Das ließe sich als billiger Aktualismus abtun, ist es aber nicht. Nuss ist Japan empathisch sehr verbunden, was in seinen
beigesteuerten Werken durchaus zu hören ist.
Zur Interpretation von Beyamin Nuss: So einfühlsam und schön war Debussy wohl seit Arturo Benedetti Michelangeli nicht mehr zu hören! En detail mag manches noch nicht vollendet sein, doch großer Gestus und Partiturtreue sind meisterhaft. Das weckt Erwartungen auf mehr.
Die Werke des Albums, die nicht von Debussy stammen, zeigen Benyamin Nuss’ Vielseitigkeit bei seiner Programmauswahl und zeugen von der Virtuosität seines Spiels. Es kommt nie das Gefühl auf, dass hier einer überambitioniert ist – Nuss interpretiert so selbstbewusst wie bedacht.
Schätzenswert ist die Auswahl der Werke von Komponisten, die wenig wahrgenommen werden: Balakirew, Milhaud, Villa-Lobos, Tansman und Hovhaness mögen noch geläufig sein, doch wer sind Charles T. Griffes, Martin Torp? Oder gar Jonne Valtonen und Masashi Hamauzu?
Das Album erlaubt dem Hörer, diese Komponisten en passent kennenzulernen und musikalisches Neuland zu betreten, ja vielleicht neugierig zu werden auf weitere Werke dieser unterschätzten Meister.
So findet Benyamin Nuss bei den Danzas Argentinas von Alberto Ginastera den richtigen Zugriff für dessen «vertrackte Rhythmik».
Mit seiner Wahl, Werke von Valtonen und Hamauzu für das Album einzuspielen, knüpft Benyamin Nuss an sein Debüt-Album an, das Nobuo Uematsu gewidmet ist, einem japanischen Komponisten von Computer-Game-Musik!
Gebrauchsmusik? Manch einer könnte die Nase rümpfen, doch ist zu bedenken, dass dieses Genre eine lange Tradition hat – war doch der Ursprung aller Musik ihr «Gebrauch»; in Vorzeiten (und bis heute) zur Unterstützung des Kultus, und um Mythen melodisch zu «erzählen» – ohne die mnemotechnische Kraft der Musik in vorschriftlicher Zeit wären wir ohne Mythen!
Themen-Alben sind in der Klassikwelt en vogue. Doch Exotica setzt einen besonderen Akzent – und ist nicht Teil einer Mode­­-er­scheinung. Das Album darf enthusiastisch empfohlen werden.