Birte Müller

Gleiches Recht für alle!

Nr 154 | Oktober 2012

Neulich hat mich ein Freund mit einem Behindertenwitz überrascht: «Was ist rosa und behindert?» – «Ein Flamongo!» Und wissen Sie was? Ich musste echt lachen.
Natürlich darf man das gar nicht machen, einen Behindertenwitz! Ist ja klar, und seit ich ein behindertes Kind habe, kann ich mich auch nicht daran erinnern, einen Behindertenwitz gehört zu haben. Also habe ich schnell mal «Behindertenwitze» gegoogelt und finde als Erstes mehrere Seiten von behinderten Menschen, die jeweils Witze über ihre spezielle Behinderung sammeln.
Ich habe eine Seite «Rollstuhlfahrerwitze» durchgelesen, und einige waren sogar ganz lustig. Sie wollen sicher jetzt auch einen lesen – oder? Na gut:

«Trifft ein Mantafahrer einen Rollstuhlfahrer. Fragt der Manta­fahrer: ‹Ey sach ma, wie schnell fährt denn deine Karre?›
Darauf der Rollstuhlfahrer: ‹6 kmh›.
Der Mantafahrer: ‹Na, dann kannste ja gleich zu Fuß gehen.›»

Genau genommen ist das ja ein «Mantafahrer-Witz». Die darf man natürlich auch nicht diskriminieren. Von den Blindenwitzen kannte ich schon eine Menge, denn als ich Kind war, waren sie in Mode. Ich fand jetzt den vom Sesambrötchen, das Blinde so gerne essen, weil da so schöne Geschichten draufstehen, nicht mehr so richtig lustig.
Aber anscheinend darf man ja doch Behindertenwitze machen, wenn schon die Behinderten selber Witze über sich machen. Oder dürfen nur die Betroffenen solche Witze machen? Ich muss ehrlich sagen, wenn ich mit Willi einen Bus betreten würde und neben uns würde eine Gruppe Pubertierender den Flamongowitz machen und dann in lautes Lachen ausbrechen, dann wär ich echt sauer. Und wenn mein Sohn eines Tages spüren sollte, dass da über ihn gelacht wird, mein Gott, dann weiß ich gar nicht, was ich tun würde.
Es sind solche Situationen, vor denen ich in der Zukunft Angst habe. Selber lachen wir zu Hause auch oft, über die absurdesten Dinge, die Willi so macht – und er lacht immer mit. Wenn zum Beispiel die beiden Möpse von unseren Nachbarn in den Garten laufen, dann macht Willi JEDES Mal die Gebärde für Katze, darüber könnte ich mich schlapp lachen. Die besten Witze schreibt einfach das Leben selbst. Denn als wir neulich im Zoo waren, zeigte Willis Schwester Olivia auf die rosa Vögel und rief begeistert: «Schau mal, Mama, Flamongos!» Das war um Längen lustiger als der Witz selbst.
Als Christoph Schlingensief 2005 unter dem provokanten Titel Freak Show 3000 eine Art Casting Show mit geistig Behinderten pro­duzierte, fand ich das vollkommen unmöglich. Heute sehe ich das tatsächlich anders, denn immerhin rückte er Menschen vom Rande der Gesellschaft in deren Mitte. Wenn «anders sein» normal ist, dann darf man auch darüber lachen. Aber natürlich sollte niemand dabei verletzt werden. Aber wenn man immer nur Rücksicht nimmt, kann man zum Beispiel einen Text wie diesen gar nicht schreiben. Irgend­einer fühlt sich immer diskriminiert und auch diesmal werde ich sicher ein paar Briefe von beleidigten Mopsbesitzern bekommen. Neulich habe ich ein Zitat von Herbert Feuerstein gelesen und dem möchte ich mich anschließen: «Auch Behinderte haben ein Recht, verarscht zu werden.» Gezeichnet, die Flamongomutti.