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Jan Terlouw

Nr 156 | Dezember 2012

«Pflichten zu haben, ist ein Recht.»

Fast ist man geneigt, ihn als «duizendpoot» zu bezeichnen – Tausendsassa auf Deutsch. Aber einer, der sehr Vieles kann und macht, hat nicht selten die Tendenz, sich zu verzetteln. Und das kann man von Jan Terlouw wahrhaftig nicht behaupten. Seine Vielseitigkeit ist jedoch enorm.
1931 geboren, wuchs er zusammen mit vier Geschwistern als Pfarrerssohn in einem Dorf im Osten der Niederlande auf. An der Universität Utrecht studierte er Physik und wurde in diesem Fach auch promoviert. Nach dem Studium war er über zehn Jahre in der wissenschaftlichen Forschung tätig, u.a. in Schweden und den USA. In den gesellschaftlich und politisch bewegten Sechziger­jahren schloss Jan Terlouw sich der noch sehr jungen linksliberalen Partei D 66 (Democraten 66) an. Es folgte eine steile politische Karriere mit den Stufen Fraktionsvorsitzender, Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Nach der Wahlniederlage seiner Partei 1982 (er war damals Spitzenkandidat) zog er sich aus der Politik zurück. Aber nur zeitweilig: Später bekleidete er verschiedene z.T. nicht parteigebundene Ämter; so war er beispielsweise «Commissaris van de Koningin» (Beauftragter der Königin) in seiner Heimatprovinz Gelderland.
Wenige Jahre nach seinem Eintritt in die Politik (die er als «ein äußerst schwieriges Geschäft» sieht), debütierte Jan Terlouw, inspiriert von Geschichten, die er sich für seine vier Kinder ausdachte, mit einem Jugendroman (Pjotr, 1970). Mittlerweile umfasst sein Oeuvre über 25 Titel, darunter auch politische Sachbücher und literarische Thriller. Letztere schreibt er gemeinsam mit seiner Tochter Sanne, die als Schriftstellerin in seine Fußstapfen getreten ist. Jan Terlouws Jugendbücher, die häufig geschichtsrelevante Themen behandeln und zum kritischen Denken anregen, wurden mehrfach preisgekrönt und verfilmt sowie in andere Sprachen übersetzt. Eine besondere Freude ist es für ihn, dass sein wohl bekanntester Jugendroman Oorlogswinter (in den eigene Kind­heitserfahrungen eingeflossen sind) 40 Jahre nach seinem Erscheinen in den Niederlanden, wo er längst zum Klassiker avanciert ist, nun endlich auch in deutscher Übersetzung vorliegt: Kriegswinter.*
Und last but not least setzt sich Jan Terlouw seit etlichen Jahren in verschiedenen Organisationen aktiv für Menschen- und Tierrechte und für die Umwelt ein.
Was verbindet nun sein scheinbar divergentes Schaffen? Es ist die tiefe Überzeugung, dass der Mensch, weil er zum Guten wie zum Bösen fähig ist, eine hohe Verantwortung trägt und sich dieser zu stellen hat. Das klingt ernst und womöglich ein wenig trocken, doch als Moralapostel tritt Jan Terlouw keineswegs auf. Wenn er über seine Lebensauffassung spricht und darüber, wie sie sich in seiner Arbeit als Wissenschaftler, Politiker und Schriftsteller sowie in seinem Umweltengagement niedergeschlagen hat, ist da immer wieder auch ein humorvolles Zwinkern in seinen Augen. Lächelnd bezeichnet er sich selbst als «einen alten Mann mit einer Botschaft». Aber an einen Rückzug aus der Öffentlichkeit, um sich zur Ruhe zu setzen, daran denkt der immer noch jungenhaft wirkende 81-Jährige nicht. Nach wie vor ist er viel auf Vortrags­reisen unterwegs, und neuerdings bestreitet er zusammen mit seiner Tochter Pauline, einer ausgebildeten Geigerin, literarisch-musikalische Auftritte. Somit darf man gespannt sein, was in der Zukunft von ihm noch zu hören sein wird.


von Eva Schweikart