Claudia Langer im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Tun Sie etwas!

Nr 159 | März 2013

Verbraucher haben Macht

Für Claudia Langer wurde mit der Geburt ihrer Kinder die Frage drängend: «Wie sieht die Zukunft unserer Kinder aus, wenn alles wie bisher einfach weiterläuft?» Angesichts der katastrophalen Folgen der Klimaerwärmung für die Erde und unserer Orientierung an Wachstum und Konsum, die diese Lage immer mehr verschärft, kommt sie zu dem Schluss: «Wir leben auf Kosten unserer Kinder!» Für die Unternehmerin und Firmengründerin einer Event- und einer Werbeagentur, die sie verkaufte, um sich ihrer Familie zu widmen, entstand aus dieser Einsicht die Internet-Plattform für nachhaltiges Leben: www.utopia.de. Hier werden Kaufempfehlungen ausgesprochen wie die für die energie-effizienteste Waschmaschine, Bekleidungsmarken mit den giftigsten Materialien genannt, und die Mitglieder tauschen sich darüber aus, wie sie ihren Alltag nachhaltig gestalten. Aber Claudia Langer ist auch überzeugt, dass die Zeit für Änderungen angesichts des Klimawandels knapp wird und wir uns deshalb über die eigene Familie und die Änderung unseres Konsumverhaltens hinaus engagieren müssen – wirklich etwas tun, und nicht im «Man müsste mal» (so auch der Titel ihres bei Droemer erschienenen Buches) stecken bleiben.

Doris Kleinau-Metzler | Frau Langer, der Begriff «Utopia» erstaunt zunächst. Ist Utopie nicht etwas, das weit weg liegt, eigentlich unmöglich ist?
Claudia Langer | Es gibt zwei Versionen von «Utopia»: Für die eine bedeutet «utopisch» unerreichbar und versponnen. Wir halten es lieber mit der Definition von Heiner Geißler, der gesagt hat: «Ou Topos ist der Ort, den es geben müsste.» Wir erleben heute, dass nicht mehr in historischen Zeitläufen gedacht wird, wo sich die Gesellschaft in Zukunft hinentwickelt – von der Klimaerwärmung, dem weltweiten Bevölkerungswachstum bis hin zur Verschuldung der Staaten und dem Zusammenbrechen des Generationenvertrags. Es wird fast nur «auf Sicht», kurzfristig bis zur nächsten Wahl, Politik betrieben, statt darüber nachzudenken und zu debattieren, was uns als Gemeinschaft wichtig ist und welche Konsequenzen das haben müsste. In diesem Sinne ist utopia für uns ein Handlungsauftrag, denn wenn ich ein Ziel habe, brauche ich Rüstzeug und Ver­bündete, um darauf hinzuarbeiten. Für mich ist die Perspektive des längeren Zeitraums durch meine Kinder viel klarer geworden, denn sie werden die Auswirkungen von dem erleben, was jetzt falsch läuft.

DKM | Diese Erfahrung, dass Kinder uns zum Nachdenken über die Zukunft bringen, machen sicher viele Eltern. Sie bemühen sich, gesund zu leben, engagieren sich in Kindergärten und Schulen, was ja auch zu kleinen Veränderungen führt.
CL | Durchaus, aber für mich sind im Moment die kollektiven und großen Schritte wichtiger, denn wir müssen uns klar werden, dass wir diese riesigen Probleme nur als Kollektiv, als Gesellschaft lösen können! Das heißt, wir können nicht mehr am Spielfeldrand stehen und Kommentare abgeben, wie schlecht die Politik alles macht, sondern müssen selbst Verantwortung übernehmen. Wir müssten über die Lage wirklich alarmiert sein, weil wir genauer als je zuvor wissen, wie die Zukunft noch in diesem Jahrhundert aussehen wird. Diese Zukunft trifft unsere Kinder knallhart. Damit meine ich nicht nur meine Kinder, sondern auch die Kinder in Bangladesch und anderswo, die so viel ärmer sind und viel früher und extremer unter den Folgen des Klimawandels leiden werden. Denn unser Konsum­verhalten nach dem Motto «so billig wie möglich» (zum Beispiel beim Kauf von günstiger modischer Kleidung) ist so nur möglich, weil Menschen unter unmenschlichen Bedingungen in Fabriken dafür arbeiten und Kinderarbeit weit verbreitet ist.

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Fotos: © Fotos: Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

DKM | Durch Konsumänderungen, den Einkauf von ökologischen und fairen Waren, könnte man etwas daran verändern?
CL | Ja sicher, aber leider machen Unternehmen, die nachhaltige Waren anbieten, im Moment noch die Erfahrung, dass viele Ver­braucher nicht die ökologische Wahrheit sagen: Sie sagen, dass ihnen ökologische Waren wichtig sind, aber kaum übertreten sie die Schwelle zum Kaufhaus oder Supermarkt und sehen die aufgrund der Herstellung logischer Weise höheren Preise, fragen sie nicht mehr nach der Herkunft, sondern kaufen das billige Hähnchen aus Qualzucht, um zu sparen. Aber alle Unternehmen brauchen Planungssicherheit über das, was Verbraucher wirklich kaufen, keine Absichtserklärungen. Am liebsten wollen wir nämlich alles haben: billig und fair und ökologisch. Das geht aber nicht, und deshalb ist unser Konsumverhalten letztlich und in der Menge unverant­wortlich. Vieles müsste sogar noch teurer sein, wenn man die Folgekosten mitrechnet wie beispielsweise bei Flügen. Gerade in Deutschland spielt das Statusdenken bei der Konsumfrage zudem eine große Rolle, besonders bei Autos oder Technik. Die meisten von uns könnten kleinere Autos fahren, ohne auf viel zu verzichten. Solche Fragen spreche ich übrigens auch ganz konkret bei meinen Freunden und Nachbarn an und diskutiere mit ihnen darüber, ob es wirklich so ein riesiges benzinfressendes Auto sein muss. – Oft scheint mir aber der Nicht-Konsum genauso wichtig wie reine ökologische Verbraucherempfehlungen, zumal das nicht Verzicht bedeuten muss, sondern mehr Lebensfreude mit sich bringen kann. So reise ich zum Beispiel viel weniger als früher, was ein großer Gewinn an Zeit und Lebensqualität für mich ist. Auch das Hinaus­schieben und Sparen für eine Anschaffung, die mir wichtig ist, kann Freude machen: Ich bin fünf Jahre um ein teures Traumfahrrad herumgeschlichen, bis ich es mir endlich geleistet habe. Und dieses Fahrrad ehre ich, pflege es, öle es, weil ich eine Beziehung dazu habe. Das ist kein Wegwerfartikel, sondern etwas, das viele Jahre Freude machen kann.

DKM | Also soll man sich bei allen Anschaffungen immer wieder fragen, wie und was man kauft?
CL | Ja, aber das allein reicht nicht. Das Problem ist, dass sich viele über ökologische Zusammenhänge gut informierte Bürger, auch viele meiner Freunde, in ihrer kuschelgemütlichen Zone eingerichtet haben mit utopia, Bioladen und ökologischem Gärtnern. Damit ziehen sie sich aber aus der Gestaltung der Zukunft, dem Kampf gegen den Klimawandel zurück, auch wenn sie durchaus unsicher über die Zukunft sind und latent Angst um die Kinder, um ihr Alter, um gesunde Ernährung und den eigenen Wohlstand haben. Das ist für mich Ausdruck einer Form von Unentschlossenheit und Unerwachsenheit, weil sie das, was sie erkennen können, nicht in Handeln umsetzen. – Klar muss man sich beim Konsum fragen, was, wozu und woher, aber entscheidend ist jetzt, dass wir uns politisieren, das heißt durch massenhaftes öffentliches Engagement, durch Demonstrationen und vieles mehr Einfluss auf die Politik nehmen. Wir müssen dieses kurzsichtige Denken immer wieder anprangern und nachhaltige Orientierung einfordern! Die Politik könnte konkret viel tun, beispielsweise zu große Autos verbieten. Verantwortung und Konsum gehören zusammen – doch selbst die Kirchen mit 1,3 Millionen Mitarbeitern kaufen nicht nachhaltig ein. Und aufgrund entsprechender Vorschriften, dass immer das billigste Angebot genommen werden muss, ist nach­haltiger Einkauf auch bei staatlichen Behörden kaum möglich.

DKM | Manchmal ist es aber trotz allen guten Willens nicht so leicht, konsequent zu sein – deshalb heißt ihr Buch ja auch Die Generation Man-müsste-mal. Wie ändert man Gewohnheiten?
CL | Ich habe meine Gewohnheiten verändert, als mir klar wurde, wie groß das Problem ist, das auf meine Kinder zukommt. Der erste Schritt zur Veränderung ist, dass man das Problem klar benennt: Wir gehen auf eine Klimakatastrophe zu! Dann müssen wir uns fragen, ob wir daran etwas ändern wollen und uns als Nächstes auf den Weg machen und handeln. Es wird uns noch zu Lebzeiten treffen, und deshalb versuche ich, mit meinem Buch Betroffenheit zu erzeugen – auch mit Zuspitzung und Provokation. Aber wir sind Verdrängungsweltmeister und hoffen offensichtlich, dass uns irgendwas rettet: ein Wunder, Effizienzsteigerung, irgendein Quanten­sprung, damit wir unser Leben nicht ändern müssen. Wir sind nicht bereit, Zumutungen zu ertragen. Warum gibt es nicht Menschen­ketten wie früher gegen Atomkraft für unsere gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit?

DKM | Verbraucher, Konsumenten haben eigentlich eine große Macht – aber warum sollte man die nutzen? Und was kann man tun? Es betrifft ja oft nicht direkt das eigene Leben, wenn etwa Unternehmen, die weltweit zu den größten Wasserhandelsfirmen gehören, oft kostenlos Grundwasser pumpen und so Wasser per Verkauf in Flaschen zu einer profitablen Ware gemacht wird.
CL | Ja, solche Unternehmen sind auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten äußerst kritisch zu betrachten. Die Armen können sich die tollen Plastikflaschen nicht leisten, sie müssen Wasser aus Kloaken trinken, und das Grundwasser versiegt nach intensiver Ausbeutung. Es ist unerträglich für mich, dass das Wasser, das uns allen gehört, von Konzernen zu einem handelbaren Gut gemacht wird! Auch in dem Fall könnte Konsumboykott wirklich ein Hebel sein (Sie werden übrigens bei mir niemals eine Kaffee-Maschine mit Alu- oder anderen Kapseln finden). Und dann öffnen auch noch immer mehr Groß­märkte, unser Konsumwahn scheint unersättlich. Es gilt als clever, wenn man günstig eingekauft hat. Aber wirklich clever ist nur, wenn man fair und nachhaltig einkauft – zumal die Qualität oft auch besser ist! Nachhaltig heißt vor allem auch, dass man über den Moment hinausdenkt, langfristig. Das spricht übrigens nicht gegen Genuss. Leider ist das noch nicht gesellschaftlicher Konsens.

DKM | Manche Entwicklungen brauchen vielleicht viel Zeit. Sehen Sie die Situation nicht zu pessimistisch?
CL | Aber ich sehe doch, dass die Leute darauf warten, dass eine Katastrophe kommt, dann erst würden sie handeln! Dabei sind die Auswirkungen bereits vielfältig zu sehen. Sicher bin ich da eher konservativ, vorsorgend, und gehe bei meinem Handeln vom Worst-Case-Szenario aus; so habe ich auch meine Firmen geleitet: Man handelt vorausschauend und plant, was passiert, wenn der wichtigste Kunde wegbricht. Vorsorgen für die Zukunft ist ja auch für viele Menschen im eigenen Leben einsichtig, deshalb werden Renten- und Krankenkassenbeiträge gezahlt. Aber hier geht es um mehr, um die Zukuft für unsere Kinder! Ich befürchte, wir werden als Gesellschaft nur konsequent gegen die Klimaerwärmung vorgehen, vorbeugen und uns nachhaltig verhalten, wenn wir wirklich das Gefühl haben, dass es bald sehr schlimm wird. Doch wir müssen uns jetzt darüber empören, wie fahrlässig wir mit dem Klimawandel umgehen, wir müssten massenhaft auf die Straße gehen, unseren Konsum überdenken – und uns vor allem auch von der Angst befreien, dass Verzicht auf manchen Konsum und die Änderung von Gewohn­heiten etwas Fürchterliches ist. Es ist eher ein Gewinn! Wenn wir wirklich konsequent die eigenen Kinder oder Enkel in den Mittelpunkt unseres eigenen Planens und Handelns stellen, heißt das, dass man sich für Nachhaltigkeit engagieren muss, in der eigenen Familie, aber vor allem gesellschaftlich. Damit engagieren wir uns zugleich für etwas, das größer ist als die eigene Familie – und gestalten Zukunft.