Birte Müller

Stressige Eltern

Nr 163 | Juli 2013

Irgendwie haben Eltern kleiner Kinder oft etwas Verspanntes. Ich bin da ganz vorne mit dabei. Nur denke ich gerne, dass meine Verspannung bei Willi syndromspezifisch ist. Aber natürlich kann man sich um ein normales Kind genau so viele Gedanken und Sorgen machen wie über ein behindertes.
Ein Lieblingskrampfthema von Müttern ist sicherlich der kind­liche Mittagsschlaf. Schon ab der Minute des morgendlichen Erwachens kann man sich damit beschäftigen, ob und wann das Kind an diesem Tag wohl schlafen wird. Hat es morgens lange geschlafen, muss der gesamte Tagesplan anders gestaltet werden, als wenn es sehr früh aufgewacht ist. Es gibt dann vielerlei zu beachten: Alle Unternehmungen müssen unbedingt vor 13 Uhr beendet sein oder nach 15 Uhr beginnen, und Autofahrten dürfen nicht in der Nähe dieser Kernzeit liegen (außer der Mittagsschlaf wird explizit als Autoschlaf geplant). Potenzielle Verabredungen müssen vage gehalten werden, da man nie weiß, ob der Plan in der Praxis umsetzbar ist. Und richtig dramatisch wird es dann auch, wenn mit jeder Menge Hektik, Vergrätztheit und Unflexibilität der erarbeitete Tagesplan bis zum Mittag durch­gezogen wurde, das Kind aber im vorgesehenen Zeitfenster gar nicht schlafen will! Was für eine Krise! Und wenn es dann endlich schläft, ist man die erste Hälfte des Mittagsschlafes vollends angespannt – aus Angst, das Kind könnte vorzeitig aufwachen (und die nun dringend benötigte Pause zerstören). In der zweiten Mittagsschlafhälfte geht’s dann nahtlos über in die Angst, das Kind könnte zu lange schlafen und deswegen am Abend wiederum ewig wach sein …
Ein weiteres Reizthema von Müttern ist die Ernährung der Kinder. Ich zähle im Kopf auch mit, ob meine Kinder schon etwas «Richtiges» gegessen haben, und will ihnen zum Knabbern immer am liebsten Karotten und Äpfel andrehen. Aber in unserem Be­kanntenkreis treffen wir vermehrt auf Eltern, deren Lebensinhalt die einhundert Prozent politisch korrekte, hardcore Ökoer­nährung ihrer Kinder zu sein scheint. Da dürfen die Kinder die ersten zwei Jahre kein Salz (Zucker natürlich schon gar nicht!), keine tierischen Produkte und nur glutenfreie Getreide (außer maximal vielleicht den heiligen Dinkel) zu sich nehmen. Dazu kommen noch allerlei dubiose Theorien und Fantasien, etwa dass Bananen «heiße» Früchte seien, welche nur zu bestimmten Jahres­zeiten gegessen werden dürfen … Alles in allem reicht es, um sich den ganzen Tag damit zu beschäftigen (soweit man nicht gerade mit dem Mittagsschlaftstress gebunden ist). Und dann beschweren diese Eltern sich ernsthaft, dass ihre Kinder so schlechte Esser seien! Ich kann da nur sagen: Probier mal selbst! Bei diesem Thema sind wir ausnahmsweise durch Willi mal entspannter als andere. Wer sein Kind fast drei Jahre lang zwangsernähren musste, freut sich über jedes mit Genuss gegessene Laugenbrötchen oder Eis, auch wenn es nicht «Bio» und vielleicht sogar (Oh Gott!) mit Kristallzucker war. Und in dieser Beziehung ist Willi jetzt jederzeit bereit, uns eine Freude zu machen!
Wer wirklich wünscht, dass sein Kind mehr ökologisch ange­bautes rohes Gemüse isst, dem kann ich folgenden Tipp geben: Man bestelle eine grüne Kiste beim Biobauern der Wahl. Die daraus ständig anfallenden verdörrten Reste nehme man mit zum Besuch eines Tierparks. Dort gebe man den Kindern das olle Gemüse mit der Bemerkung es sei nur noch für die Tiere geeignet: An keinem Tag im Jahr sehe ich meine Kinder so viel Grünzeug in sich reinstopfen! Im Streichelzoo knabbern Willi und die Ziegen ab­wechselnd an derselben Karotte und sogar auf dem Boden findet er eine leckere Kleinigkeit nach der anderen, die die Ziegen verschmäht haben … Aber Achtung: Da kann man dann nicht sicher sein, ob’s «Bio» war!