Willkommen im mobilen Gemeinschaftsgarten «NeuLand» in Köln-Bayenthal, 15 Minuten mit dem Bus der Linie 106 vom Kölner Hauptbahnhof entfernt. Aber Neu-Land, neues Land – gibt es das bei uns überhaupt, wo alles dicht bebaut ist oder jemandem gehört, der seinen Boden profitabel verwerten will (noch dazu im Zentrum von Köln)? Und «mobil» – das sind wir doch alle! Aber ein Garten, der sich vom Fleck weg bewegen kann? Haltestelle Koblenzer Straße, auf der einen Seite ein mehrgeschossiger Neubau mit Wohnungen, auf der anderen Seite freies Gelände hinter einem Metallzaun mit offenem Eingang, dahinter allerhand grün bewachsene Tröge und kleine provisorische Bauten auf roter Erde. Gleich daneben eine große, leere, asphaltierte Fläche, Öde.
Samstagmittag, einige Leute werkeln rund um die Pflanzkisten. Die attraktive Frau um die Fünfzig könnte auch in einem schicken Café in der Kölner Innenstadt sitzen, aber sie kommt fünfmal in der Woche hierher. Dieses Jahr probiert NeuLand verschiedene Tomatensorten aus, die einige aktive Freizeitgärtner zu Hause auf ihren Fensterbänken vorgezogen haben. «Und wie sich die Tomaten jetzt entwickeln, das ist einfach toll, kaum zu glauben», staunt Uschi Lenneper. Noch stehen sie in ihren Plastiktöpfen unter der schützenden Folie des Gewächshauses. «Letztes Jahr habe ich mich verzettelt, dieses Jahr will ich mich hauptsächlich um Tomaten kümmern», erzählt sie. «Früher dachte ich: Ach, das bisschen Unkraut, was soll’s. Aber wenn man erlebt, wie eine
kleine Gemüsepflanze fast binnen 24 Stunden auf einmal hochschießt, wenn man sie von Unkraut befreit hat, ist das überwältigend – einfach, weil sie keinen Stress mehr hat mit Konkurrenten und nun genug Nährstoffe bekommt.» Hier hat sie Geduld gelernt, meint sie, ob bei der Betreuung der Pflanzen oder der Umsetzung ihrer Ideen wie der, eine Kräuterspirale mit Steinen zu bauen (was nicht ging, weil fest auf der Erde stehend und damit gegen die Vereinbarung mit dem Eigentümer, den Garten mobil, also umsetztbar zu gestalten, so entschied es die Orga-Runde, die jeden Donnerstag tagt). Mal sehen, was aus ihrem Plan wird, den Weidendom mit Sitzgelegenheiten zu ergänzen.
Ja, auch eine freie und lose Gemeinschaft braucht Regeln. Obwohl alles ziemlich spontan und ungeregelt begann, erzählt Judith Levold, die inzwischen per Fahrrad aus der nahen Südstadt vorbeigekommen ist. Am 3. Juli 2011 trafen sich nach einem Aufruf im Internet («smartmob» genannt) fast 200 Leute und besetzten das seit 5 Jahren leere, brachliegende Gelände, um es für gemeinschaftliches Gärtnern zwischenzunutzen. Vorausgegangen war der ausgesprochen profitable Verkauf des ehemaligen Dombrauerei-Geländes durch einen Privatmann an das Land Nordrhein-Westfalen (unter nicht ganz geklärten Umständen), das hier eine Fachhochschule errichten wollte. Die Pläne zerschlugen sich, die vormals abwechslungsreiche Ecke mit Biergarten drohte immer mehr zu verkommen, erinnert sich Judith Levold. «Die ganze Gegend ist ein Sanierungsgebiet. Der Grüngürtel, den Konrad Adenauer in seiner Zeit als Oberbürgermeister begonnen hat, könnte nach den sinnvollen Nutzungsplänen des Stadtplaners Albert Speer fortgesetzt werden; die Stadt will im Umfeld dringend benötigte Wohungen bauen.» Ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, den mobilen Garten nachhaltig zu bewirtschaften, wurde gegründet und vereinbarte mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes NRW, dass die Fläche bis zur Bebauung als mobiler Garten genutzt werden darf (so wie in vielen anderen Großstädten inzwischen immer mehr Bürger Verkehrsinseln und Brachflächen bearbeiten, mit Grün gestalten, «Urban Gardening» genannt). «Viele Leute in der Stadt wollen einen direkten Kontakt zur Natur in ihrer Umgebung – das Gärtnern schafft zudem unkomplizierte Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen. Und wer einmal so sein Umfeld mitgestaltet hat, engagiert sich auch dafür, dass die Neubauten den Bedürfnissen der Bewohner entsprechen, nicht einfach Betonburgen oder Schlafstädte entstehen.»
Wilfried Nissing ist mit seinem Fahrrad samt Anhäger, beladen mit Holzresten, dazugekommen. Er ist dabei, in dem Erdloch in der Mitte des Platzes eine «Arena» zu bauen, indem an der Böschung mit Baumstämmen Sitzränge eingelassen werden. «Das ist windgeschützt und kann für kleine Open-Air-Konzerte, Sonntagnachmittag-Konzerte oder Theateraufführungen genutzt werden.» Er ist Schreiner, hat seine Werkstatt um die Ecke und verarbeitet dort ausschließlich Holz des Kölner Stadtwaldes. Warum macht er sich die Arbeit in seiner Freizeit? «Für Spaß. Und um offene Strukturen zu schaffen, die andere auch nutzen können für ihre Ideen. Ich habe Wissen als Schreiner – und finde es gut, wenn ein Prozess in Gang kommt, der über meinen eigenen Bereich hinausgeht, sich Ideen weiterentwickeln. Wir und unsere Kinder leben hier noch viele Jahre – wir wollen nicht nur Wohnklötze um uns haben.»
Nein, das wollen auch die beiden älteren Damen aus Bayenthal nicht, die vom Einkaufen kommen. Sie haben sich gerade mit dem Bildhauer Nico Wildbrandt unterhalten, der mit einem Schubkarren rote Erde* von einem Haufen holt und auf den Freiflächen um seinen Arbeitscontainer verteilt. «Schön, was die jungen Leute hier mobilisiert haben, wir haben uns das schon öfter angesehen.» Würden sie auch mitmachen? Ursula Nehlin lacht: «Nein, früher hatte ich auch einen Garten, aber heute reicht mir mein Balkon.» Und ihre Freundin Elke Mamel ergänzt: «Gut, dass das hier ohne Formalitäten und Bürokratie geht, wenn man mitmachen will. Die Freiheit ist wichtig.»
Freiheit. Freiwillig. Freizeit. Das verbindet Alex Follmann auf eigene Art, indem er heute Kompost siebt, rote Erde verteilt und mit dem Imker Frank Methien (im Hauptberuf Feuerwehrmann) nach den Bienenstöcken schaut. In der Woche sitzt Alex Follmann im Büro am Geographischen Institut der Uni Köln und arbeitet an seiner Doktorarbeit («Stadt und Umweltschutz in Indien am Beispiel der Flussaue Delhi»). Er ist auf dem Land in Ostwestfalen aufgewachsen und froh, am Wochenende rauszukommen und etwas Praktisches zu tun. Bei jedem Wetter? «Beim Arbeiten wird man warm. Und der Wind in den Haaren, die krümelige feuchte Erde, das tut gut. Klar, bei schönem Wetter kommen viel mehr Helfer auf das NeuLand-Gelände, doch bei 30 Grad kann man keine Salatsetzlinge umsetzen – die gehen ein, verbrennen.»
Deshalb auch das Schild: «Bitte morgens oder abends gießen, nicht in der Mittagshitze.» Was man als Städter so alles nicht weiß … Auch deshalb gibt es das Pflanzbuch, das in der Infothek in der Mitte des Gartens ausliegt; dort wird festgehalten, was im letzten Jahr in welchen Pflanzkästen angepflanzt wurde und was für dieses Jahr geplant ist. In Pflanzkiste A008 wuchsen letztes Jahr Kohl, Majoran und Oregano, dieses Jahr wird «Milpa» ausgesät, eine Mischkultur aus Mais, Stangenbohnen und Kürbis, die seit Jahren in Bolivien verwendet wird.
Das Wissensnetzwerk ist mobil und global. Fast alle Materialien der Pflanzkisten sind recycelt, aber Plastikreste und diverser Kleinmüll müssen demnächst von den NeuLändern entsorgt werden. Überbleibsel der Wirsinglandebahn etwa. Wirsinglandebahn? An einem Morgen war sie einfach da, die Bahn. Ob von einer Künstlergruppe oder einer Frau, die meinte, dass Wirsinge aus dem Weltall hier landen wollten, bleibt ungeklärt.
NeuLand-Garten – Idylle inmitten der Großstadt? Die Kaninchen, die die Kohlrabipflanzen anfressen, könnten das so sehen, aber wer hier mitmacht, lacht vielleicht bei dieser romantischen Vorstellung. Der gemeinschaftlich bewirtschaftete Garten auf Zeit scheint, einen gewissen pragmatischen Umgang miteinander und mit dem Garten zu ermöglichen. Niemandem gehört eine Pflanzkiste, mit der er allein machen kann, was er will. Aber wer Ideen umsetzen will, findet viele Möglichkeiten. So wie Michel Faber, ein Rentner, der den Tipp für den NeuLand-Garten über das Seniorennetzwerk erhielt. Jetzt ist er hier fast täglich anzutreffen und hat das neue Gewächshaus, in dem die Tomaten stehen, angeregt, geplant und gemeinsam mit anderen gebaut. «Wo ist der Rest von der dicken Plastikfolie vom Gewächshaus?», fragt er. «Die brauche ich heute.» Uschi Lenneper hat mitbekommen, dass die Folie gegen Spende an Leute abgegeben wurde, die sie brauchten. Michel Faber stöhnt kurz auf, Uschi Lenneper schmunzelt. «Tja, so ist das hier: Alle wissen nicht alles, was nötig wäre.» Hier wie im richtigen Leben – trotz Infobuch, Orga-Runde und Internet. Michel Faber weiß: «Das ist halt kein Schrebergarten, wo jeder seinen Garten für sich hat. Aber genau das mag ich hier, wenn wir gemeinsam an etwas arbeiten, etwas Neues entsteht. Wir lernen – und jeder von uns ist wichtig.»
Gemeinsames Arbeiten auf rotem Sand als Gemeinschaft auf Zeit – keiner ein Experte oder alle Experten? Das bleibt offen, ist im Werden, und dementsprechend ist das Ergebnis nicht immer perfekt. Stefan Rahmann bearbeitet heute schon den ganzen Nachmittag Holzlatten, damit daraus dringend benötigte Pflanzkisten werden, die auf Pflastersteine und Europaletten gestellt werden. «Sicher könnte man das eine oder andere besser machen und gibt es immer Kritik. Aber wenn der Einsatz der Menschen, die hier gearbeitet haben und ihre Zeit dafür eingebracht haben, zu etwas Nutzbarem führt, ist das doch viel; es muss ja nicht für die Ewigkeit sein.» Lebenskunst des Faktischen: nicht «Wäre», sondern Tun. «Wir sind inzwischen auch Teil der Stadtgesellschaft und bieten Vorträge und Workshops an, die gut besucht sind.»
Auf jeden Fall kommt das Genießen und Feiern nicht zu kurz bei den NeuLändern, ob zur Saisoneröffnung im Frühling, beim Aufbau eines (natürlich mobilen) Steinofens für Pizza, bei einem Grillfest mit Flüchlingen oder eben immer, wenn es Anlass für ein Kölsch gibt. Die Nachbarschaft, die die Abkürzung durch den Garten gerne nutzt, schaut schon mal, was da so wächst. Und seit diesem Jahr gibt es Strom und Wasser auf dem NeuLand-Gelände und damit noch mehr Wachstumsmöglichkeiten für Mensch und Grün.
Und in sechs, sieben Jahren, wenn hier doch noch gebaut wird? Dann zieht der mobile Garten mit Pflanzkisten und alten und neuen NeuLändern eben weiter, es gibt noch viele Flächen zu begrünen …