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Christa Ludwig

Fluchtballon

Nr 165 | September 2013

gelesen von Simone Lambert

Maxim hat alles: Hund, Katze, Papagei, das Baumhaus und super Eltern für sich allein. Und dann streiten sie sich und er glaubt, sie wollen ihn nicht mehr haben. Aber Maxim hat noch etwas: Jona, seinen besten Freund.
Jona gibt den Ton an und er hat viele gute Einfälle, die allerdings gelegentlich bei Erwachsenen für Beunruhigung sorgen. Um herauszubekommen, was mit Maxim los ist, borgt er sich zuhause die Spätzlepresse und kredenzt mit aller Kraft Spaghetti-Eis für den Freund. Und Maxim erzählt ihm vom Grundstück, das die Eltern verkaufen. Jeder der beiden sieht eine berufliche Chance in dem Geld und jetzt streiten sie darum, wer es bekommen und wer von beiden sich um den Sohn kümmern soll. Maxim fühlt sich wie ein Ding behandelt und ist verletzt und traurig.
Aber dann hat Jona eine Idee: Sie werden den Heißluftballon seines Vaters steigen lassen, sodass Maxims Eltern glauben, ihr Sohn sei in Lebensgefahr. Maxim soll sich verstecken und sehen, wie sich die Eltern ängstigen und um ihn weinen. Tatsächlich schaffen es die beiden Jungs, den Ballon zu starten, aber dann kommt alles ganz anders und wird erst mal richtig schlimm …

Dass Kinder sich selbständig zu machen versuchen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, damit die Erwachsenen sehen, was sie davon haben, ist kein seltenes Thema in der Kinderliteratur und für den erwachsenen Leser rührend und amüsant. Von Twains Tom Sawyer bis zu Lindgrens Pelle, der auszieht, finden sich viele literarische Beispiele frühzeitiger Autonomieversuche. Christa Ludwig ist dabei etwas Neues gelungen; sie lässt kindliche Rachephantasien auf erwachsene Realität treffen und verdichtet die Kollision zum spannenden Abenteuer. Dabei bleibt sie der Sicht der Kinder treu. Überzeugend schildert sie das Wechselbad der Gefühle, das der Junge durchlebt, als er seine Eltern beobachtet, mit Verzweiflung und Scham sehen muss, wie seine Strafaktion schiefläuft, und er sich um seine Tiere sorgen muss. Das führt zwar zum gewünschten Ergebnis – die Eltern sind froh, ihn wiederzuhaben – aber Maxim versteht schließlich auch, dass das verlorene Geld Träume der Eltern angeregt hat, die wichtig für die Erwachsenen sind.
Christa Ludwig findet dafür ein Bild in der Schlussszene, als beim Eisessen und Kaffeetrinken jedem ein Malheur passiert und sich plötzlich die Leckereien vermischen. «War das die Welt der Er­wachsenen? So ein Durcheinander?» Maxim beginnt zu begreifen, dass das Leben der Eltern viel komplizierter ist, als er ahnte.
Die dramatische Geschichte findet einen weiteren starken Halt in der bedingungslosen Freundschaft zwischen Maxim und Jona. Vor allem die Freude an den Tieren verbindet die beiden. Die Autorin erfindet Worte und Sprachspielereien, die das liebevolle Verhältnis zu den Tieren vermitteln: das Katzentatzenkrallenspitzenkitzeln ist ein Vergnügen, das Maxim vorbehalten bleibt, und der Papagei hat einen Sprachfehler und ersetzt das A durch ein O: so wird aus Katze Kotze, aus Dach Doch, aus Hase eine Hose – frech-renitente Verwandlungen, die Kinder erheitern können.
Die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin Linda Wolfsgruber hat für den Fluchtballon einfühlsame Illustrationen geschaffen, die die Erlebniswelt der Kinder gut vermitteln. Ein zärtliches Buch voller Weisheit und Witz.


Kindliche Rachephantasien treffen auf die erwachsene Realität und verdichten sich zu einem spannenden Abenteuer.

Lesen Sie hier rein ins Buch von Christa Ludwig!