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Benjamin J. Myers

Nr 167 | November 2013

Sechs Fragen an den Autor der «Bad Tuesdays»

Welches war Ihr erstes Jugendbuch, das einen bleibenden Eindruck hinterließ?
Der Zauberstein von Brisingamen, von Alan Garner. Ich bekam es in der Schule vorgelesen, als ich etwa sieben Jahre alt war. Seitdem habe ich selbst es oft gelesen, und auch meine Frau und meine Kinder. Ich hatte schon vorher Geschmack am Fantastischen gefunden, denn ich wuchs mit den griechischen und nordischen Mythen auf und mit der Artus-Legende – Geschichten, die mir meine Eltern vorlasen. Aber Der Zauberstein war das erste Buch, das mich berührt hat. Die Tatsache, dass die Geschichte in einer Gegend spielt, die ganz in der Nähe des Ortes liegt, wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin, verstärkte diese Faszination noch. Ich glaube, es war die Einbettung der Fantasy in eine wirkliche Welt, was mich am meisten beeindruckt hat. Denn dieser kontinuierliche Zusammen­hang zwischen fantastischer Welt und Realität ist ja auch wesentlich für die Bad Tuesdays-Bücher.

Welche der Figuren in Ihrem sechsbändigen Epos über Chess, Box und Splinter war schriftstellerisch die größte Herausforderung. Und warum?
Das war Chess. Sie war schwierig, weil sie so voller Widersprüche ist: schwach und stark, tapfer – vor allem tapfer angesichts ihrer eigenen Angst, unerschütterlich in allem, was sie will, wobei sie sich gleichzeitig immer auf andere verlassen möchte. Es ist nicht leicht, eine Figur zu erschaffen, die so mächtig und doch so verletzlich ist – eine Mischung aus stark gegensätzlichen Aspekten. Aber das ist es, was sie menschlich macht. Denn wir sind doch alle irgendwie so wie Chess.

Welcher Band der Bad Tuesdays ist Ihnen der liebste?
Jedes der Bücher ist anders und jedes ist das Lieblingsbuch irgendeines Lesers. Mein Favorit ist Band 6: Das Ende der Zeit, denn in diesem Band laufen alle Fäden der Reihe zusammen. Alle Fragen werden beantwortet, und die Figuren beenden, was sie angefangen haben. Und es gibt jede Menge Action und fantastische Momente der Tapferkeit und Humor. Aber bis dahin war der vierte Band – König ohnegleichen – mein Lieblingsbuch, denn die Geschichte besteht aus einem raffinierten und cleveren Puzzle und wird Splinters Charakter in jeder Beziehung gerecht.

Wo finden Sie den Stoff für die Geschichten, die Sie schreiben?
Überall. In Filmen, in der Musik, bei Menschen, die ich kennen­lerne, in den ganz alltäglichen Dingen. In Texten, die ich lese, und Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Und gelegentlich durchzuckt mich ein Geistesblitz, der mich auf eine völlig neue Idee bringt, bei der ich mich dann frage: Wo kommt das denn auf einmal her? Aber all das ist nur Rohmaterial. Die eigentlichen Geschichten entstehen aus den Fragen, mit denen ich dieses Rohmaterial be­arbeite, das Wie, Warum, Was wäre, wenn. Eine verlassene Fabrik zu bemerken, ist eine Sache, eine ganz andere Sache ist es jedoch, sich zu fragen, wer sich darin aufhält, wenn niemand hinschaut?!

Was würden Sie sonst gerne machen, wenn Sie kein Schriftsteller wären?
Ich habe das Glück, zwei Berufe zu haben, die mir viel Freude machen: Schriftsteller und Strafverteidiger. Wenn ich die Möglich­keit hätte, wäre ich gerne Arzt. Menschen mit seiner eigenen Kunstfertigkeit und seinen Kenntnissen helfen zu können, Menschen, denen es schlecht geht, ist eine wunderbare Sache. Wenn daraus nichts werden würde, könnte ich mir auch vorstellen, Archäologe und Anthropologe zu sein. Ich liebe Antworten, und die meisten davon liegen in unserer Vergangenheit und in uns selbst.

Welches historische Ereignis hat Sie am meisten dazu veranlasst, über den Sinn des Lebens nachzudenken?
Das Ende von etwas. Besonders das Ende von Zivilisationen. Die Babylonier, die Ägypter, die Griechen und die Römer ... und irgendwann auch wir. Es ist reine Selbsttäuschung, zu glauben, dass das, was wir tun, endlos Bestand haben wird. Wir kommen und wir gehen, egal, wie wichtig wir uns nehmen. Der Gedanke stimmt einen demütig.

Die Fragen stelle Jean-Claude Lin