Titelbild Hochformat

Iain Lawrence

Nr 169 | Januar 2014

Der Mann mit der Mütze

Amerika. Das hatte ich im Kopf, als ich mich dazu entschloss, mein «International Baccalaureate» in Florida zu machen. Aufgeregt und voller Neugierde saß ich dann schon ziemlich bald im Flieger nach Miami.
Nach einem ersten Gespräch in der Schule musste ich für kurze Zeit nach Kanada, um mein Visum zu bekommen. Ich kam bei Darlene, einer Freundin meiner amerikanischen Gast­familie, unter, die auf Gabriola Island wohnt – einer wunder­schönen Insel, die zu den Gulf Islands gehört.
Man fühlt sich frei, und alles ist so schlicht und wild dort. Darlenes Haus hat Ausblick auf den Hafen von Nanaimo, und ab und zu schaut ein Reh oder ein wilder Pfau auf Futtersuche vorbei. Nach ein paar Tagen stellte mir Darlene in ihrem Büro kurz ihren besten Freund vor: Iain Lawrence. Auf dem Rückweg beschäftigte mich der Name, weil er mir bekannt vorkam, ich ihn aber nicht zu­ordnen konnte. Darlene erzählte mir, dass er Schriftsteller sei. Zu Hause zeigte sie mir einige seiner Bücher, und ich traute meinen Augen nicht: Auf Deutsch sind sie in dem Stuttgarter Verlag erschienen, den mein Vater leitet!
Darlene, höchst erfreut über diesen Zufall, rief Iain sofort an. So erfuhr bald die ganze Insel von dieser kleinen Sensation. Am Tag darauf kam Iain Lawrence zu einer Tasse Tee und wir unterhielten uns.
Zu seinem typischen Erscheinungsbild gehören eine Mütze, eine Arbeitshose und (meistens) ein kariertes Hemd. Sein Hund ist sein treuester Begleiter. Er hatte gerade sein Buch The Skeleton Tree beendet. Als ich ihn fragte, woran er sich gern erinnert in seiner Kindheit, sagte er: ans Autofahren. Er sei mit seinen Eltern öfters umgezogen oder verreist, und dieses Erlebnis, aus dem Fenster auf die vorbeirauschende Landschaft zu schauen, dabei im Hintergrund die Eltern leise reden zu hören und zu warten, bis man an einen neuen oder geliebten Ort kommt, war für ihn das Größte. Als Schüler wollte er immer Anwalt werden, obwohl er schon sehr früh Talent zum Erzählen hatte und für seinen jüngeren Bruder Ge­schichten schrieb. Nach anfänglichem Jurastudium studierte er dann Journalismus.
Iain Lawrence wohnt mit seiner Frau und seinem Hund auf Gabriola. Hier findet er die nötige Ruhe zum Schreiben. Er steht morgens früh auf und macht sich erst mal eine Tasse Tee. Mit dem Tee setzt er sich an den Computer, spielt eine Partie Solitaire oder Schach, und erst wenn er gewonnen hat, fängt er an zu schreiben. Dann legt er sich eine CD auf, meistens Die Vier Jahrenszeiten, Die Planeten oder Carmina Burana. Er hört eine CD pro Buch, so lange, bis es fertig geschrieben ist. Bei seinem Roman Winter Pony war es Vivaldi.
Ich wollte wissen, warum einige seiner Bücher tragisch, melancholisch und sehr traurig sind. Auf diese Frage lachte er – das verstehe er auch nicht. Er weiß den Anfang und das Ende der Geschichten, die er schreiben will, möchte aber den Teil dazwischen immer frei laufen lassen. Bei Winter Pony hatte er eigentlich an eine leichte Abenteuergeschichte gedacht. Doch dann entwickelte sie sich so traurig, dass er sie vor Tränen fast nicht zu Ende schreiben konnte. Es sei viel einfacher, Leute traurig zu stimmen als fröhlich, meinte er.
Ich merkte, während er erzählte, dass er es aus diesem Grund liebt, Jugendromane zu schreiben, da er für eine gewisse Zeit Kind sein kann. Für eine gewisse Zeit einfach Kind sein und schreiben, was er vielleicht alles hätte machen wollen als Jugendlicher, und weil er es einfach liebt, Kind zu sein. In Zu­kunft würde er auch gerne Bilderbücher schreiben und hat den Kopf voller Ideen, die er nur noch umzusetzen braucht. Ich dafür erlebte, dass manches im Leben wie ein Märchen ist.

von Jeremias Lin