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Jeremy Naydler

Der Garten als spiritueller Ort

Nr 170 | Februar 2014

Eine kleine Kulturgeschichte

Landschaften der Seele

So einfühlsam und erhellend kann wohl nur ein Brite über Gartenkunst schreiben, dachte ich, als mir das Buch Der Garten als spiritueller Ort von Jeremy Naydler in die Hände fiel und ich es nicht wieder weglegen wollte. Ein wunderschönes Buch – wie geschaffen für besinn­liche Wintertage, in dem es um die Seele des Gartens in der abendländischen Kulturgeschichte geht.
In einem großen Bogen führt die Zeitreise zu den Gartenanlagen des Altertums. Im Alten Ägypten und in Mesopotamien war der Garten Teil einer Tempelanlage. Alle sinnlich wahrnehmbaren Formen galten als ein Spiegel für die Beziehung zur jeweiligen Gottheit: Herrin der Maulbeerfeige etwa ist die Himmelsgöttin Nut, die im Jenseits Erfrischungen reicht. Hathor, die Göttin der Liebe, wohnt in der Alraune. Keine Pflanze hat in diesem Ver­ständnis eine rein physische Existenz, sondern sie offenbart ein geistig ihr zugehöriges Wesen. Im Zentrum dieser «rituellen Gärten» findet sich stets das Wasser als Quell oder heiliger See.
Die Anlage eines solchen Gartens kann als Einladung an göttlich-geistige Energien verstanden werden, sich dort zu manifestieren. Auch private Gärten folgen diesem religiösen Vorbild.
Im antiken Griechenland, um das 7. Jahrhundert v. Chr., bleibt der spirituelle Bezug selbstverständlich – er wird nur anders ge­sehen: Die Natur wird als Subjekt in der Umgebung angesprochen und gefühlt. Alles ist beseelt und belebt von Göttern, die in der Landschaft wahrgenommen werden. So richten die Griechen ihre Tempelstätten – meist in einem heiligen Hain – dort ein, wo sie besondere Präsenz wahrnehmen. Innerhalb der wachsenden Städte werden Naturoasen in den Gymnasien, den Akademien, erschaffen, gedacht als Wandelorte für Menschen im Gespräch.
Im römischen Garten zeigt sich das Welt- und Menschenbild grundlegend verändert. Die Natur wird zum Objekt, das der Mensch nach seinem Eigenwillen gestaltet. Wildnis gilt als hässlich, Zivilisation als Qualität des Schönen. Strukturelemente, Dekoration und Form­schnitt der Pflanzen werden zum Kunstwerk – teils rücksichtslos übergestülpt. Die Natur wird zum Sklaven, und der beherrschende Mensch fragt nicht mehr nach dem innewohnenden Geist.
Die Entwicklung der islamischen oder orientalischen Garten­kultur, die Naydler kurz streift, zeigt sich äußerlich geometrisch orientiert wie im römischen Zuschnitt. Doch sie sind aus einem ganz anderen Geist inspiriert. Der islamische Garten als ein Sinnbild des Para­dieses versteht die Struktur und die Ordnungselemente im kosmischen Sinn. Eine menschliche Einrichtung, welche die Heiligkeit der Geometrie, ihre harmonisierende Kraft würdigt und ihr huldigt als göttliches Prinzip. Auch hier spielt das Wasser eine zentrale Rolle.
Nun der hortus conclusus, der umfriedete Garten des Mittelalters. Er ist ein Sinnbild der jungfräulichen Seelenkraft – der Garten Marias als ein Versprechen der Rückführung der gefallenen Menschheit zu Gott. Hier schlägt der Autor eine wundervolle Ideenbrücke. Das antike Verständnis der Natur als nährende Urmutter im mittelalterlichen Marienbild geborgen. «Dieser Garten … war ein Ort, der ein gesteigertes Bewusstsein von der göttlichen Weiblichkeit als Ur­grund der Schöpfung vermittelte.»
Die Reise geht weiter von der Renaissance ins 18. Jahrhundert. Vom Erwachen des perspektivischen Bewusstseins über den «Größen­wahn von Versailles» zu den Landschaftsgärten der Neuzeit. Der Gärtner als Künstler und die Gartenkunst als spirituelle Kunst bilden den Abschluss.
Der wirkliche Garten erwartet uns in der Zukunft, meint Naydler, so beschaffen, dass wir als Menschen alles Geistige darin erkennen, damit kommunizieren und es so gestalten, dass es zu einer Aussöhnung kommt. Das menschliche Selbstbewusstsein, das mit dem Geist der Pflanzen ein inspiriertes Gespräch führt – das ist ein und sein Zukunftstraum.

von Ute Hallaschka


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