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Kai Hansen

Dem Menschen der Zukunft

Nr 172 | April 2014

Viele kennen die Sehnsucht nach einer besseren Welt. Dabei wollen innere und äußere Spannungsverhältnisse zu einer Balance geführt werden. Die Einsicht, dass alles Gute im eigenen Tun beginnt, macht uns zu Übenden und führt auch zu der Frage, ob Handlungen aus Liebe oder aus Begierde nach Erfolg geschehen. Ein konsequenter Forscher in diesen Fragen war der holländische Maler Piet Mondrian.
Wir kennen ihn durch seine streng angeordneten Rechtecke in leuchtendem Gelb, Rot und Blau, begrenzt durch schwarze Geraden. Aktuell zeichnet nun eine Ausstellung in Hamburg
seinen Weg nach – von der Ruhe früher Landschaftsbilder zu seinen bekannten meditativen und geheimnisvollen Ikonen der Moderne. Verborgene Schätze im Spätwerk zu entschlüsseln, darum geht es auch in Elmar Schrepfers anregendem Buch Piet Mondrian New York City-Process.
Mondrian wurde 1872 in Holland geboren – umgeben von bäuer­lichem Frieden. Auf den Feldern werden die Kartoffeln von Hand aufgeklaubt, Tiere ziehen geduldig Lasten, Kähne bewegen sich ruhig am weiten Horizont. Als er 1944 vor Ende des Zweiten Weltkriegs in New York stirbt, gibt es Elektrizität, Automobile, Telefon, Kinofilme, hoch aufragende Wolkenkratzer. Tempo, Fortschritt und Technik haben den Menschen im Griff.
Gegensätze prägen sein künstlerisches Schaffen lebenslang: Licht und Finsternis, das Individuelle und das Universelle sowie die Frage nach dem Gleichgewicht im Wesen des Menschen. Für ihn verlangt die Zeit vom Menschen ein Streben nach Schönheit und innerer Balance, darin sieht er die urmenschliche Schöpferkraft selbst in ihrem Ausdruck: «Die Logik verlangt, dass Kunst der bildliche Ausdruck unseres ganzen Wesens sei, also auch der gestaltete Ausdruck … des Universellen in uns …, das heißt die exakte Erscheinung außerhalb unseres Wesens.»
Immer konzentrierter vertieft sich der asketische Eremit Mondrian in die Gestaltungs-Bausteine des Daseins. Horizontale und Verti­kale, Licht und Finsternis, Innen und Außen, das sind seine Urelemente. Goethes Farbenlehre bestätigt ihn in seiner Konzen­tration auf die drei Grundfarben, sie vermitteln zwischen dem Urgegensatz von Schwarz und Weiß.
Elmar Schrepfer macht in seinem Buch Verhältnisse und Bezüge Schritt für Schritt erfahrbar. Mondrians Farbflächen werden so zu ganz persönlichen Übungsflächen. Selbst der Autor entdeckt, wie er sagt, immer neue Bezüge – und greift somit das Angebot in Mondrians Kunst auf: Ein Suchender nach der Schöpfer­kraft im Lebendigen zu sein. Im Buch zeigt der Prozess der Bildentstehung, wie lebendig Mondrian mit Prinzipien und Rhythmen umgeht. Folgt man dem Autor in der Darstellung der Gleichzeitigkeit der Bezüge im Bild, so steigern sich die Erlebnisse und – das darf gesagt werden – die Bewunderung für Piet Mondrian.
Mondrian schrieb 1920: «So verstanden ist das Universelle das, was stets ist und bleibt, das für uns mehr oder weniger Unbewusste, im Gegensatz zum mehr oder minder Bewussten, dem Individuellen, welches sich stets wiederholt und erneut. – Unser ganzes Wesen ist sowohl das eine wie das andere: das Unbewusste und das Bewusste, das Unbewegliche und das Bewegliche; entstehend und Form wechselnd in wechselnder Aktion. Diese Aktion enthält alles Leid und alles Glück des Lebens – das Leid entsteht durch fortgesetzte Scheidung, das Glück durch immerwährende Erneuerung des Veränderlichen. Als Unbewegliches steht über allem Leid und allem Glück – das Gleichgewicht.»