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Tamara Bos | Annemarie van Haeringen

Papa, hörst du mich?

Nr 174 | Juni 2014

gelesen von Simone Lambert

Der Vater stirbt und der kleinste Sohn muss seinen Tod be­greifen und den Verlust verkraften. (Wie) Gelingt ihm das? Wie erlebt ein siebenjähriges Kind den Tod des Vaters?
«Papa, hörst du mich?» – mit dieser Frage eröffnet Polle das Gespräch mit seinem toten Vater. Der ist nach einer langen Krebserkrankung in der Nacht gestorben. Es ist das erste Mal, dass das Kind den Tod erlebt. Warum weckt ihn die Mutter mitten in der Nacht? Warum sagt sie, Vater sei gegangen, wenn er doch noch da liegt? Vaters Reglosigkeit hat auch die letzte Phase seiner Krankheit geprägt – für Polle ist das kein Zeichen des Todes. Aber Vater antwortet nicht mehr.
Der Vater liegt aufgebahrt zu Hause und Polles Mutter, sein älterer Bruder Dajo, Freunde und Verwandte kommen, um Abschied zu nehmen. Die anderen weinen. Polle sitzt neben dem Toten, «weil das jetzt noch geht» – ein erster Begriff von Endlichkeit. Dass er dabei Gameboy spielt, ist kein Widerspruch zu seinem Wunsch nach Nähe zum Vater. Polles innerer Monolog stellt den gesamten Text des Büchleins. Er beobachtet sachlich und wach die Rituale, die Tod und Trauer begleiten, und er hört den Erwachsenen ganz genau zu. Und Polle erinnert sich: an Erleb­nisse mit dem Vater, an seine Krankheit, an sein Sterben.
Die Aufbahrung zu Hause, die Abholung durch den Bestatter und die Kremation sind die Etappen des Abschieds. Polle weiß, dass der Vater verbrannt werden wird: «Nicht alles von dir. Nur dein Körper natürlich.» Das Kind unterscheidet die Seele - «das, was in deinem Kopf war» - und Vaters Körper, der jetzt keine Schmerzen mehr hat.
Tamara Bos, deren Buch soeben für den Deutschen Jugend­literaturpreis nominiert wurde, erzählt in schlichten kurzen Sätzen, fast in Gedichtform. Sehr konzentriert gibt ihre Sprache die tiefe, innige Verbindung zum Vater wieder und macht auch kleinen Lesern das Geschehen verständlich.
Annemarie van Haeringens Illustrationen lassen rote und blaue Stratego-Figuren das Geschehen nachspielen. Mit dem Stratego-Spiel hat der Vater dem Sohn seine Krebserkrankung erklärt und jetzt, nach seinem Tod, spielt das Kind allein das Lieblingsspiel. Viel Platz bleibt auf den Seiten, Raum für all das, was zwischen den Zeilen schwingt an Schmerz, Staunen, Liebe und Trost.
Wut, den treuen Begleiter der Trauer, erleben wir auch: Als von der Großmutter gesagt wird, dass es das Allerschlimmste für eine Mutter ist, wenn ihr Kind vor ihr stirbt. «Aber ich weiß nicht, ob das wahr ist. Für ein Kind ist es auch sehr schlimm, wenn der Vater stirbt.» Polle behauptet seine Trauer gegen solche Gemeinplätze. Blöd findet er auch im Nachhinein noch Vaters Ehrgeiz, wenn es um Dajos Fußballspiele ging. Geliebt hat er diesen Vater dann dafür, dass der anschließend über sich selbst lachen konnte.
Trauer ist umso gewaltiger und schmerzhafter, je mehr Pläne wir noch hegten für und mit dem Menschen, der gestorben ist. Doch Polles Erzählung spricht von einem langen Abschied, der hier ein Ende findet. Die Krankheit hat die Hoffnung längst getötet.
Dies ist eine vielschichtige, umfassende Dokumentation kind­licher Trauer, die aus der unbestechlichen Wahrnehmung eines Kindes hervorgeht. Die Gewissheit, dass der Papa ihn hört, auch wenn er nicht mehr antwortet, ist eine tröstliche Strategie für das Kind, das am Ende auch an die Zukunft denkt.

Dieses kleine schmerzliche und zugleich tröstliche Buch ist nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014!

Lesen und schauen Sie hier ins Buch!