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Thomas Neuerer

Moderne Tradition

Nr 177 | September 2014

Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki konnte im vergangenen November seinen achtzigsten Geburtstag feiern. Im Vorfeld dieses Ereignisses, während der Jahre 2011 und 2012, ist sukzessiv eine Gesamtaufnahme seiner bis dato geschriebenen Symphonien unter eigenem Dirigat entstanden.
Penderecki stand dabei das 2007 gegründete Polnische Jugend-Sinfonieorchester zur Verfügung, das sich durch hörbare Spiel­freude und hohe Virtuosität auszeichnet. Die Aufnahmen des Sinfonie-Zyklus’ geben die Werke höchst transparent, mit voller Dynamik und in natürlicher Räumlichkeit wieder.
Pendereckis, der ursprünglich Geigenvirtuose werden wollte, begann seine Komponisten-Laufbahn als Vertreter der Avantgarde mit dem Ausloten der Möglichkeiten des Orchesterklangs. Doch schon mit der 1. Symphonie zeigt sich eine Hinwendung zur spät­romantischen Tradition, eine Entwicklung Pendereckis, die sich bis in unsere Gegenwart fortsetzt.
Diesen Stil etabliert der Komponist vollständig in seiner wohl be­kanntesten, der 2., sogenannten Weihnachts-Sinfonie (aufgrund des Zitats aus «Stille Nacht»).
Pendereckis Musik wird damit weitaus zugänglicher als die anderer zeitgenössischer Komponisten, was ihm von manchem Vertreter der Avantgarde auch übel genommen wurde. Dabei ist es allerdings nicht so, dass Penderecki etwa von einer Musiksprache in eine andere gewechselt hätte; vielmehr erweiterte er seine Ausdrucks­mittel. Sein Schaffen ist darum in sich kohärent, es zieht sich ein roter Faden von den ersten Werken bis in die Gegenwart.
Neben spätromantischen Bezügen sind für Pendereckis Sinfonik ostinate, sich wiederholende Figuren, Tonballungen («Cluster») und Glissandi charakteristisch, die bereits in den avantgardistischen Werken Pendereckis (gemein­hin als «Klangflächen­komposition» bezeichnet) vorherrschen.
Fast allen seinen Sinfonien ist ein religiöser Bezug eigen, wobei Religion generell das Gesamtwerk des Komponisten prägt. Penderecki vertont dabei überwiegend Texte der lateinischen Messe sowie Psalmen. Die Herkunft aus einer religiösen Familie dürfte hierbei von Einfluss sein.
Kennzeichnend im sinfonischen Schaffen Pendereckis ist darüber hinaus eine vorwiegend melancholische Grundstimmung (u.a. bewirkt durch abfallende chromatische Skalen), der Gebrauch klassischer kompositorischer Grundmuster und Formen (Sonaten­hauptsatz, Fugato usw.) sowie die Verwendung eines zumeist groß besetzten Orchesters (bei den Sinfonien 7 und 8, in Mahler-Dimension, kommen Chöre und Gesangssolisten hinzu). Als Kuriosum bleibt festzuhalten, dass Penderecki bislang keine 6. Sinfonie veröffentlichte – in der Zählung seiner Sinfonien also diese Ziffer übersprungen hat.
Die Box mit seinen bis dato veröffentlichten Sinfonien ist beim polnischen CD-Label DUX erschienen und wärmstens zu empfehlen. Konkurrenz zu diesen Aufnahmen besteht allein durch seinen Landsmann Antoni Wit, der als Dirigent für die Firma Naxos das Gesamtwerk Pendereckis mit verschiedenen Ensembles eingespielt hat. Auch die Interpretationen unter Antoni Wit werden Penderecki vollauf gerecht, erreichen aber aufnahmetechnisch nicht durchweg das ausgezeichnete Niveau, das bei DUX realisiert wurde.