Ralf Lilienthal

Solides Handwerk und kreative Freiräume

Nr 179 | November 2014

Die Hasso von Hugo Maskenbildnerschule in Berlin

Das «Dekor» täuscht: ein schnörkelloser Büro-Zweckbau in Berlin-Mitte, nahe Potsdamer Platz – nicht die schlechteste Hauptstadtgegend. 1000 großzügige Quadratmeter Schulungsräume samt Fotostudio, Medienraum, Cafeteria und Dachterrasse, alles modern ausgestattet und edel gefasst vom Adelswappen mit Krone und Bourbonenlilie. Eine feine Adresse? Ein Schlips-und-Kragen-Biotop und Latte-Macchiato-Terrain? Weit gefehlt. «Malocherschmiede» wäre sicherlich angemessener – und vielleicht auch «Haus der Besessenen«. Was zu erklären und auch wieder zu entschärfen sein wird.
Dass der Weg des Reporters auf den Spuren der «Maske» hierhin, nach Berlin und zu Hasso von Hugos Maskenbildnerschule führte, war beinahe zwangsläufig. Schließlich gehört der gebürtige Kölner spätestens seit Jean-Jacques Annauds Spielfilmklassiker Der Name der Rose zur internationalen «Elite» der Masken­bildnerei. Doch während seine aktuell knapp hundert – zumeist weiblichen – Schüler in der
dreijährigen, staatlich anerkannten Ausbildung systematisch und umfassend an das anspruchsvolle Metier herangeführt werden, startete der Meister selbst seinen Berufsweg noch über den seinerzeit zwingenden Umweg einer Friseurlehre. Erst danach ging es «zur Sache» selbst.

Werdegang

Hasso von Hugo lernt: Die Grundlagen in den Kölner WDR-Studios. Solides Handwerk am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Improvisationsgeschick am Schiller-Theater in Berlin. Als dort der Maskenchef in Pension geht und Hasso von Hugo sich selbst – politisch unkorrekt bis dorthinaus – ins Gespräch bringt («ich war eben der Beste»), ist der Intendant «not amused». Hasso von Hugo auch nicht. Er bricht die Zelte ab und geht, vom Hippievirus der Zeit infiziert, auf einen zweijährigen Asientrip, sammelt Erfahrungen und lernt buchstäblich «by doing» Englisch, ein Umstand, durch den sich zwei Jahre später die Tür zu einer ungewöhnlichen Karriere öffnen wird.
Eine Kollegin gibt den Anstoß: «Die Amerikaner suchen für eine Serienproduktion einen deutschen Maskenbildner. Du sprichst fließend Englisch, bewirb dich doch einfach!» Was der frischgebackene Friseurmeister auch macht.
Chefmaskenbildner der Holocaust-Serie – das ist, ein dreiviertel Jahr lang, mit täglich über fünfzehn Stunden Arbeit an sechs Wochentagen, für den Filmanfänger ein logistischer Parforceritt der besonderen Art.
Doch es gelingt. Der junge Maskenbildner wird im internationalen Zelluloid­business sichtbar und legt bald darauf mit Umberto Ecos Mittelalterepos sein Meisterstück vor.
«Du bist für mich der Hieronymus Bosch der Maskenbildner», befindet Regisseur Jean-Jacques Annaud, und nicht wenige nationale und internationale Juroren sehen das genauso: Filmpreise wie der «Maskenbildner-Oscar» BAFTA (British Academy for Film and Television Award) sind der Beweis.
Danach folgt ein Jahrzehnt mit unvorstellbarer, kräftezehrender Dichte an Film- und Fernseh­produktionen, die ihn rund um den Globus führen und mit cineastischen Stars wie Audrey Hepburn, Robert Mitchum, Marlon Brando oder Jeff Bridges arbeiten lassen. Wenn Hasso von Hugo sich er­innert und den Zuhörer etwa auf die Schlachtfelder des II. Weltkriegs (Duell – Enemy at the Gates und Winds of War) oder in die mittelalterlichen Sets der Päpstin entführt, zeigt sich das Filmbusiness auch aus der Maskenbildnerperspektive als logistische Großveranstaltung. «Da müssen morgens schon mal 1.500 Komparsen frisiert und 300 Schwerverletzte geschminkt werden. Und wenn der Regisseur 100 geschminkte Dummys braucht, um ein Schlachtfeld zu bestücken, dann wird er seine Dummys kriegen, samt vorheriger Kalkulation und Lieferzusage für den gewünschten Tag.»
Kein Wunder, dass der gefragte Maskenbildner sich nach diesen zehrenden Wanderjahren vorüber­gehend für eine stationäre Variante seines Berufs entscheidet und Chef der Maske an genau dem Theater wird, das ihn Jahre zuvor verschmäht hatte. Am Schiller-Theater bleibt er fünf Jahre lang. Danach folgen erneut Filme, Fernsehserien und, von außen angestoßen, die Gründung der privaten Maskenbildner­schule sowie sein jahrelanger Einsatz für die staatliche Anerkennung des geliebten Berufs.

  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
  • img cat 3
Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Metamorphosen

Wer heute, nach über zwanzig Jahren, Hasso von Hugos Schule besucht, kann die nach einigen Umzügen und vielen Häutungen und Metamorphosen ausgereifte professionelle Struktur beinahe mit Händen greifen. Und die personale Kompetenz, spürbar schon im Entree, dem Reich von Florian Schubert. Als ausgebildeter Maskenbildner und zwischenzeitlicher Freelancer des «Neuen Markts» ist Schubert heute Prokurist und Organisator, außerdem Presse-, Marketing- und Vertriebsmann – und überhaupt der Zuständige für alles, was im Außenkontakt der Schule ansteht. Seine Führung durch das Masken­bildner-Universum ist kurzweilig und erhellend. «Wir haben eine schulische Struktur. Drei Jahrgänge mit jeweils einem Klassenbetreuer, für jeden Schüler einen eigenen Schminkplatz, für jede Klasse ein eigenen Raum.»
Die sind beim Besuch vormittags, während des eigentlichen Unterrichts, aber auch nachmittags, während der betreuten Übungsstunden, gut besetzt. Was man vorüberschlendernd sieht, erscheint wie ein Querschnitt durch die diversen Ausbildungsinhalte. Da sitzen, geduldig und stundenlang, «alte Männer», unter deren verblüffend realistischer Maske Zwanzigjährige stecken. Daneben ent­stehen in insgesamt dreißig- bis vierzigstündiger Arbeit schuppige Echsenköpfe in erstaunlicher Varianz oder frei ge­staltete Phantasieperücken und Biedermeierfrisuren nach historischen Vorlagen. Doch so unterschiedlich die Arbeiten auch sind, alles hier hat im Ausbildungsverlauf seinen logischen Platz, ist streng durchgetaktet und durch Planung, Vorbereitung, Materiallogistik und Terminabsprachen so etwas wie eine permanente Generalprobe künftiger Engagements.
Wer den Blick durchs Lager – den «Himmel des Maskenbildners» – wandern lässt, be­kommt eine Ahnung davon, wie vielfältig die Techniken dieses Berufsstandes sein müssen. Da gibt es allein für die Arbeiten rund ums Haar: Holz-, Schaum- und Drahtgestellköpfe. Perücken, Haarteile, Tressen, Bärte und Zöpfe – alle aus indischem Echthaar, das Kilo zu 1.400 Euro. Haarspray natürlich, Festiger und Gel, Kämme, Bürsten und Frisierumhänge. Und Historisches wie Onduliereisen, Lockenhölzer, Tressierholme und Hohleisen. Außerdem findet sich hier Schminke in allen Varianten. Flitter, Federn und Strass. Kleber, Silikon und Latex. Unappetitliches wie (Theater-)Blut, Eiter oder Schleim, abgepackt in sparsamen 5-Liter-Gebinden – das gibt es auch!

Kunst-Hand-Werk

Maskenbildnerei ist, so viel wird hier an allen Ecken und Enden sichtbar: Kreativität und solides, vielgestaltiges Handwerk. Doch damit nicht genug. Die zwanzig überwiegend fest angestellten Dozenten legen während der drei anspruchsvollen Jahre auch ein theoretisches Fundament, auf das ihre Schüler in jeder Berufslage trefflich bauen können. Farbenlehre, Zeichnen und Plastizieren, Formenlehre, Anatomie und Physiognomie … «Wer hier herauskommt, der weiß über die menschlichen Gesichtsmuskeln genauso gut Bescheid wie ein Medizin­student!» Das sagt einer, der es wissen muss: Daniel Schlemme, freier Künstler und seit 2003 Lehrer für die genannten Inhalte. «Die Schüler stehen von Anfang an unter der Spannung zwischen intensiver Vorbereitung und kreativen Freiräumen, zwischen Schwitzen und Spaßhaben! Nur wenn beides zusammenkommt, bist du während der Abschlussprüfung in der Lage, in einer halben Stunde einen anatomisch korrekten Totenkopf zu schminken.»

Fähigkeiten und Begeisterung

Während der Künstler den Horizont der Schüler nach außen erweitert, berichten und unterrichten Dozenten wie Ralf Wetzel, zuständig für das Fach «Historisches Frisieren», gewissermaßen aus dem Inneren der Maskenbildnerei. Aus Jena stammend, frühzeitig in die Katakomben der Bühne hineingesogen, ist er ein «Studierter» seines Fachs. Einer, der nicht für den Film brennt, sondern für das Theater, für die gelungene Aufführung, die dann entsteht, «wenn jeder seine sämtlichen Fähigkeiten einsetzt und bis zum Anschlag geht, im Team, im sozialen Ganzen des Bühnenwerks!»
Hier klingt sie erneut an, die professionelle Besessenheit, von der auch Hasso von Hugos biographisches Erzählen durchdrungen ist. Glaubt man dem scharfsichtigen Wetzel, dann kämpfen die erfahrenen Maskenbildnerrecken einen immer zäher werdenden Kampf um die Begeisterung und Hingabefähigkeit ihrer Schüler. Allerdings keinen hoffnungslosen! Was nicht zuletzt die zahlreichen Preise und Ehrungen zeigen, die in schöner Regelmäßigkeit den Absolventen der Schule zugesprochen werden. National und international.
«Einer der weltweit sechs IMATS-Studenten-Competitions für Maskenbildner war genau zu der Zeit in Los Angeles, als ich nach der Ausbildung auf meiner USA-Reise dort Station machen wollte», erzählt Grete Pfleger (auf dem Cover dieser Ausgabe). «Und als sie meine Bewerbung angenommen haben, bin ich eben hin und …» Gewonnen! Vor zwei Kanadiern, zwei Japanern und drei US-Amerikanern! Warum auch nicht? Schließlich ist sie nicht als sechzehnjährige Jahrgangsjüngste allein an die ferne Berliner Schule gegangen, um dann, nach drei harten Lehrjahren, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Und weil das Licht nach dem Wettbewerb in LA besonders hell leuchtete und Grete sich auch sonst «immer gekümmert hat», ging und geht es munter weiter: Mit Traineestellen in internationalen Film­produktionen, mit Arbeiten für die Berlinale oder mit Werbedrehs. «Zwölf Stunden am Tag. Oder vierzehn oder auch mehr …» – Malocherschmiede eben, Haus der Besessenen!
Und die Zukunft des Berufs? Gibt es eine, in der Welt der Ani­mationen und 3D-Drucker? Hören wir den Altmeister: «Solange die Menschen Stars lieben, solange die schöne Frau am Bug der Titanic steht und der Wind durch ihr Haar weht, sind wir im Geschäft. Die guten Zeiten sind nicht vorbei, nur ‹anders›. Aber das hängt auch von euch ab. Ihr müsst euch Dankbarkeit und Freude bewahren, ihr müsst euren Beruf lieben, er liebt euch zurück. Ihr werdet wenig Zeit haben und wenig Geld, aber er wird euch ernähren und leben lassen – erfüllt leben!» Wenn das kein Schlusswort ist.