Josef Hader im Gespräch mit Maria A. Kafitz

Eine Haltung einnehmen

Nr 183 | März 2015

Wir alle tragen sie Tag für Tag mit uns herum – unsere Vergangenheit. Manche tragen leicht an ihr, andere schwer. Manches verfolgt uns selbst im Dunkeln wie ein Schatten, anderes wünschten wir durchaus noch ein- oder gar mehrmals zu erleben. Was davon auf Josef Hader (www.hader.at) zutrifft, ist sein Geheimnis und soll es bleiben.
Der erfolgreiche Kabarettist mit den klugen Zwischen- und pointierten Nebentönen, der begeisternde Schauspieler mit dem melancholischen Blick und dem skeptischen Stirn­runzeln, der mit Regisseur Wolfgang Murnberger und Autor Wolf Haas zudem die Drehbücher der beliebten Brenner-Krimis schreibt, studierte u.a. Geschichte – also Vergangenheit. Nach «Komm, süßer Tod», «Silentium» und «Der Knochenmann» dreht sich im aktuellen Film «Das ewige Leben» (Kinostart März 2015: www.dasewigeleben.at oder www.dasewigeleben.de) auch für Privatdetektiv Simon Brenner vieles um die «alten Tage und Taten» – im leider nicht ewigen Gespräch mit Josef Hader landet man hingegen schnell in der Gegenwart …

Maria A. Kafitz | Herr Hader, wollen wir übers Leben – mehr noch: übers «ewige Leben» sprechen? Ist das Wortpaar für Sie eher eine schöne Verheißung oder eine grausame Vorstellung?
Josef Hader | Ich bin sehr stark an Geschichte interessiert, da hätte die Vorstellung eines ewigen Lebens schon was für sich. Als Schüler hab ich die Geschichtsbücher immer sofort am Schulanfang ausgelesen. Mit einem ewigen Leben könnte man sich der Reihe nach alle Epochen anschauen. Aber es könnte auch sein, dass das dann mit der Zeit langweilig wird – man kann ja nicht weiterblättern wie im Geschichtsbuch. Wenn man für ein Jahrhundert wirklich ein Jahrhundert braucht, das könnte fad werden. Ich hätte wahrscheinlich gern ein ewiges Leben, in dem ich jederzeit per Zeitraffer vor- und zurückspulen dürfte – das wäre die Idealvorstellung.

MAK | Wohin ginge denn die erste Zeitrafferreise – welche Epoche würde Sie faszinieren?
JH | Die Französische Revolution bis 1848. Das ist für mich eine faszinierende Zeitspanne. Die blutige Geburt der Demokratie, die Geburt von all dem, was wir jetzt so kennen an Staat, aber auch an Öffentlichkeit, an Medien – alles, was unser Zusammenleben bestimmt. Ich mag auch die Romane aus dieser Zeit, zum Beispiel die von Gustave Flaubert. Wenn man den liest, merkt man erst, wie modern damals schon gedacht und gefühlt wurde. Das liegt viel näher an uns, als wir den Eindruck haben.

MAK | Wären Sie einer der Mutigen gewesen, der sich eingemischt und die Bastille gestürmt hätte?
JH | Nein, eher nicht. Wahrscheinlich wäre ich im Kämmerchen gesessen und hätte irgendetwas geschrieben. Aber sicher ist das nicht, man weiß ja nie, wie man an historischen Schnittpunkten selber reagiert hätte und auf welcher Seite man gestanden wäre.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

MAK | Einen Landsmann von Ihnen, den geschätzten Karl Kraus, interessierte das ewige Leben nicht, stattdessen fragte er: «Gibt es ein Leben vor dem Tod?» Wie schafft man es, zumindest nicht allzu viel Lebenszeit zu verschleudern?
JH | Dafür bin ich kein Fachmann, denn ich habe, glaube ich, ziemlich viel Zeit verplempert. Vielleicht geht’s auch nicht anders. Jeder Mensch registriert ab einem bestimmten Punkt seines Lebens, dass er seine Zeit hätte besser nutzen sollen. Aber wahrscheinlich ist es gar nicht möglich, sein Leben richtig zu nutzen. Es ist vielleicht auch nicht vorgesehen. Die Evolution ist an einzelnen Individuen nicht sehr interessiert.

MAK | Das klingt fast wie eine Erklärung für den Lebensverlauf von Privatdetektiv Simon Brenner, den Sie in den Filmen nach den Romanen von Wolf Haas so wunderbar scheiter-schön verkörpern. Was ist passiert im «aktuellen» Brenner-Leben?
JH | In dem Film kommt er in seine Heimatstadt zurück, also in die Stadt, wo er seine Jugend verbrachte, wo seine erste Liebe stattfand, wo er Schulfreunde hatte. Das ist ein schlimmer Moment, das ist so eine Art unangenehmes «Klassentreffen», das aber länger, viel länger dauert.

MAK | Sind Sie je zu Klassentreffen gegangen?
JH | Ja, immer. Ich freue mich jedes Mal darauf. Und ich habe zwei Klassen, um sie zu treffen, denn ich bin einmal sitzen geblieben. Für den Brenner sind solche Begegnungen aber unangenehm, weil er aus seinem Leben noch weit weniger gemacht hat als ich – und das wird einem bei solchen Gelegenheiten schmerzlich bewusst. Er erlebt ein traumatisches, unaufhörliches Klassentreffen, wo er sich dauernd vergleichen muss mit denen, die mit ihm am Start waren, und dieses Resümee fällt nicht sehr gut aus. Dadurch wird er sehr depressiv.

MAK | In den Brenner-Krimis gibt es ja neben dem eigentlichen «Fall» stets eine zweite oder gar dritte Ebene, in Silentium etwa die Salzburger Schickeria und die Abgründe der katholischen Kirche. In der Romanvorlage zum Film Das ewigen Leben – und leider wieder überaus und europaweit aktuell – geht es auch um die Angst vor dem bedrohlichen Fremden. Woher nur kommt diese diffuse Angst, die erneut Rechtspopulisten populär macht?
JH | Das eine ist, dass jede Gegenwart unsinnigerweise immer versucht, ihren Status quo zu verteidigen. Es soll sich am besten nichts verändern, obwohl wir alle wissen, dass sich ständig etwas verändert, verändern muss. Wenn man zum Beispiel in Wien genau hundert Jahre zurückschaut, dann war das damals eine Einwandererstadt mit fast exakt so vielen Migranten wie heute. Und es gibt ganz viel, was wir diesen böhmischen und ungarischen Einwanderern verdanken und was wir heute als typisch Wienerisch empfinden. Aber es wird gerne vergessen, dass sich das Fremde mit der Zeit einbringt und auf lange Sicht nur bereichernd wirken kann. Obwohl man es zum Beispiel an unserer neuerdings besser spielenden Fußballnational­manschaft schon gut sehen kann. Das Zweite ist, dass wir schon in einer speziellen Situation sind. Ich glaube, es war Umberto Eco, der, als die ersten Migranten auf den italienischen Inseln eintrafen, gesagt hat: «Wir müssen uns bewusst sein, dass das eine Art Völkerwanderung ist, die beginnt, und dass es in naher Zukunft stärkere Bevölkerungsströme geben wird, als wir das gewohnt sind.» Dazu kommt, dass unser westliches Wirtschafts­system in den letzten zwanzig Jahren vollkommen versagt hat. Ein Wirtschaftssystem ist ja auch nichts anderes als eine Wasserleitung, mit der überall Wasser hinkommen soll, und dabei genügend Anreiz besteht, etwas dafür zu leisten, dass Wasser kommt. Das bedeutet, der ganze Neoliberalismus ist sozusagen nichts anderes als eine nicht funktionierende Wasserleitung. Dadurch können viele Leute, auch wenn sie arbeiten, nicht mehr ihre Familien versorgen, und es steigt die Angst. Und wenn dann noch Parteien einen angeblichen Sündenbock anbieten und merken, dass sie damit erfolgreich sind – und das ist leider immer erfolgreich im Lauf der Geschichte ?, dann entsteht die Stimmung, in der wir leben und die nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Es wird vollkommen übersehen, dass das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen bei uns zu einem überwiegenden Prozentsatz ja funktioniert. Aber alle schauen nur nach Neukölln oder in die Vororte von Paris, wo es augenscheinlich nicht funktioniert. Alle tun so, als wäre es überall so.

MAK | Viele stänkern und beschweren sich gerne schnell und laut, beim Benennen der schönen Seiten wird’s hingegen meist sehr leise und zurückhaltend. Im Grunde sollten wir also alle etwas lauter werden, wenn wir den Fremdenskeptischen, gar den Fremden­feindlichen nicht die Stimmhoheit überlassen wollen?!
JH | Ich glaube, die Chance ist genau das, was Sie sagen, dass sich jeder als Bürger begreift. Als Bürger, der erstens zur Wahl gehen sollte, das ist schon mal was. Und zweitens kann jeder von uns – egal, welche Möglichkeiten er hat –, jeder Installateur, jeder Bäcker­meister, jeder Arbeiter dort, wo er besonders gegen etwas ist, auf­zeigen und sagen: «Ich bin dagegen.» Oder dort, wo er besonders für etwas ist, aufstehen und sagen: «Ich bin dafür.» Dass wir sozusagen mehr Haltung einnehmen. Denn momentan ist das Pro­blem der west­lichen Demokratie ja, dass sie sich zu einer Art «Konsumenten­demokratie» entwickelt, so als wäre eine demokratische Wahl eine Art Supermarkt, wo man beleidigt rausgehen kann und sagen: «Für mich war ja gar nichts dabei.» Demokratie ist aber kein Konsumgut, sondern die Staatsform mit der relativ ge­ringsten Ungerechtigkeit der Weltgeschichte. Und es gibt sie nicht gratis. Man muss etwas dafür tun, damit sie bleibt.

MAK | Haben Sie da eine konkrete Idee?
JH | Wenn ich mir die sinkenden Wahlbeteiligungen in unseren westeuropäischen Demokratien so ansehe und überlege, wie lange wir überhaupt eine Demokratie in Deutschland oder in Österreich haben, dann finde ich die von uns immer ein wenig als schrullig belächelten, aber viel älteren Demokratien wie die Schweiz oder die USA auf einmal recht hip. Ich frage mich, ob es da die eine oder andere Idee gibt, die man übernehmen könnte. Mit der nötigen Vorsicht natürlich – ich möchte hier keine Parteien, die sich nur über Spenden finanzieren, oder Volksabstimmungen über alles und jedes. Aber die Vorstellung, dass in Österreich Entscheidungen über alle Parteigrenzen hinweg aufgrund der besseren Argumente getroffen werden, finde ich geradezu erotisch, aber leider auch unwahrscheinlich.

MAK | Vielleicht würde es ja schon helfen, wenn nicht gleich Erotik, dafür aber mehr Leidenschaft in die Politik käme …
JH | Ja – und damit ich mich gleich nochmal in die Gefahr setze, die USA zu loben, was für einen Kabarettisten ja praktisch Selbstmord ist: Die Grundhaltung dort, dass ein Politiker vor allem mit seiner Fähigkeit zu überzeugen, punkten kann, ist nicht schlecht. Das wäre bei uns in gewisser Weise eine Rückkehr zu einer Politikergeneration wie Brandt, Schmidt oder Kreisky. Das waren alles Leute, die Menschen von Ideen überzeugen wollten und nicht die Ergebnisse vorheriger Meinungsumfragen nachplapperten, wie es heute viele Politiker machen. In Österreich haben wir seit vielen Jahren blasse Parteisekretäre an der Spitze. Die hätten nie so hoch hinaufkommen dürfen, aber der Weg nach oben führt über die Fähigkeit, möglichst wenig anzuecken – und so sind sie dann auch, wenn sie regieren. Da geht’s nur darum, alles halbwegs so zu verwalten, dass man bei der nächsten Wahl nur so viele Stimmen verliert, dass man trotz rechter Zugewinne noch irgendwie an der Macht bleiben kann. Das sind reine Defensivpolitiker, die haben nie gelernt, unpopuläre Entscheidungen zu erklären und zu kommunizieren, geschweige denn, dass sie irgendjemand begeistern könnten. Glaubwürdigere Politiker und Politikerinnen, die hie und da eine überzeugende Rede halten können, das täte uns gut. Auch wenn wir im letzten Jahrhundert mit Demagogen so schlechte Erfahrungen gemacht haben, sollten wir Ausschau halten nach Männern und Frauen, die uns begeistern. Wenn’s geht, in ganzen Sätzen.