Monika Maron im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Man denkt anders, wenn man schreibt

Nr 184 | April 2015

Wenn wir einen Roman lesen, wollen wir gut unterhalten werden. Zugleich erleben wir manchmal, dass lesend etwas in uns anklingt: Wunschträume, Lebensfragen, Ängste. Sie sind gleichsam zwischen den Zeilen mit hineingeschrieben worden. Auch die Berliner Schriftstellerin Monika Maron, die bis 1988 in der DDR lebte, umkreist in ihren Romanen hintergründig Lebensprobleme ihrer Figuren und erzählt zugleich Zeitgeschichte. 1981 erschien ihr erster Roman «Flugasche», der die Umwelt­problematik in Bitterfeld/DDR und den Anspruch einer Reporterin, darüber die Wahrheit zu schreiben, thematisiert. Dass es nicht einfach mit «der Wahrheit» ist und was hinter dem Gefühl steht, dass ein Text «nicht stimmt», beschreibt sie Jahrzehnte später in «Wie ich ein Buch nicht schreiben kann und es trotzdem versuche» (Frankfurter Poetikvorlesung, 2005). Dabei öffnet Monika Maron mit selbstkritischen Überlegungen und feinem Humor den Blick für den mühseligen Weg, bis ein Roman entsteht. Und diese Wege und Sackgassen des Schreibens sind nicht so fern von denen, die wir kennen – zwischen Hochstimmung und Zweifeln, Scheitern und Neubeginn.

Doris Kleinau-Metzler| Frau Maron, in Ihren Poetikvorlesungen sagen Sie: «Nicht zu wissen, ob ich kann, was ich mir vorgenommen habe, scheint überhaupt zu den wichtigen Voraussetzungen des Schreibens zu gehören …» Zuzugeben, etwas nicht zu wissen, nicht zu können, ist ungewöhnlich, denn wir haben eine gute Aus­bildung, sollen und wollen Leistung erbringen. Und Sie sprechen vom «Nicht-Wissen». Warum, Sie sind doch eine erfolgreiche Schriftstellerin?
Monika Maron | Der Erfolg als freie Schriftstellerin ist ein Ergebnis und nicht planbar wie bei anderen Berufen; was ich meine, ist das Schreiben selbst. Beim letzten Buch Zwischenspiel habe ich es wieder erlebt: Ich hatte mich weit vorgearbeitet bis zu der Beerdigung, die in dem Buch stattfinden soll, war dann sozusagen auf dem Friedhof, traf dort die ganze Familie wieder. Dann habe ich gedacht: Was will ich eigentlich in dieser langweiligen Gesellschaft? Das ist eine dröge Geschichte – so kann ich nicht erzählen, was ich eigentlich erzählen will. Schon beim Schreiben fand ich es zunehmend langweilig. Plötzlich merkt man: Etwas stimmt nicht. Ich brauche etwas anderes, eine andere Idee. Vielleicht stimmt die Erzählstimme für diese Geschichte nicht, also ob ich in der ersten Person als «ich» oder in der dritten Person über Frau XY erzähle. Wie ich das merke, darüber kann ich nicht klar und eindeutig reden, das ist ein Gefühl. Darin drückt sich mein Spannungs­verhältnis zu der Geschichte, zu dem Text aus – und wenn etwas zu straff oder zu locker gespannt ist, stimmt es eben nicht.

DKM | Dieses Gefühl, dass etwas «nicht stimmt» oder man vergessen hat, um was es «eigentlich» geht, kennt mancher. Dem nachzu­gehen kann heißen: Ich bin an einer Anforderung gescheitert.
MM | Scheitern ist ja ein permanenter Lernprozess. Wenn ich etwas versuche und es endet nicht nur in einer Katastrophe, ist das im Rückblick eine Zäsur und damit etwas, woraus man lernt und klüger wird. Scheitern beim Schreiben heißt vor allem: etwas wahrnehmen und etwas verstehen. Wirklich ver­stehen, sodass ich etwas ändern will, kann ich erst, wenn ich beim Lesen meines Textes feststelle: Der Text stimmt nicht. Deshalb muss ich einen anderen Weg suchen und gehen. Die Hoffnung und die Erfahrung ist aber, dass der zweite Versuch besser funktioniert – oder der dritte ... Zweifeln und Scheitern sind wichtige Lehrmeister im Leben.

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DKM | Auch ein erfolgreiches und gutes Buch ist demnach das Resultat eines Scheiterungsprozesses. Was heißt «Schreiben» für Sie? In den Poetikvorlesungen sagen Sie: «Ich habe angefangen zu schreiben, was ich nicht so einfach sagen kann.»
MM | Ja, ich kann mich schriftlich besser ausdrücken als mündlich. Man denkt natürlich mündlich anders, als man schreibt, denn man hat schreibend für den Satz, der aus dem vorherigen folgt, lange Zeit. Man kann denkend und schreibend einen Gedanken auf ganz andere Art verfolgen als in einem Gespräch – und kann sich anders in ein Thema, ein Gefühl versenken. Im Augenblick des Schreibens spaltet man sich ein Stück ab von der aktuellen Wirklichkeit, was man in einem Gespräch oder Interview nicht kann. Wenn ich versuche, zum gleichen Thema etwas zu sagen, ist das immer viel oberflächlicher – außer ich habe einen Satz, den ich mir lange überlegt und aufgeschrieben habe, noch im Kopf. Meine Erfahrung ist auch, dass ich anders denke, wenn ich liege, als wenn ich sitze. Manchmal, wenn ich beim Schreiben überhaupt nicht weiterkomme, lege ich mich hin – und merke, dass ich anfange, anders zu denken. Ich weiß nicht, warum das so ist, es ist aber so.

DKM | Sie schildern Denken und Schreiben als einen lebendigen, vielschichtigen Prozess mit sich selbst: «Als ich meinen Roman Endmoränen beendet hatte, fragte ich mich, was mich nun am meisten interessiert.» Gibt es bestimmte Themen, die Sie zum Schreiben ziehen?
MM | Wenn man sich erst einmal in den Beruf des Autors hineinbegeben hat, schreibt man sein erstes Buch meist über etwas, was sich in einem angesammelt hat, vielleicht Wut über etwas, je nach Persönlichkeit. Danach fängt das eigentliche Arbeiten als Schriftstellerin an. Wenn man so schreibt wie ich, heißt das, dass ich mir den nächsten Fokus suche, um den ich mich versammle – wozu ich Material suche und mir eine Geschichte denke. Das passiert in vielen einzelnen Schritten. Und da ich nicht über das schreibe, was ich weiß, versuche ich herauszufinden, was ich nicht weiß. Das läuft für mein Schreiben auf die Frage hinaus: Was interessiert mich zurzeit am meisten und was will ich wissen? Was ist für mich ein Thema, das mich zwar sehr bewegt, in dem ich aber zu keinem Schluss gekommen bin? Es geht dabei nicht allein um mich, sondern meist sind es eher empirisch-philosophische Fragestellungen.

DKM | Können Sie ein Beispiel nennen?
MM | Bei dem Buch Die Überläuferin habe ich mit meiner Familie noch in der DDR gelebt und wollte mich wohl über das demütigende Gefühl, nicht frei zu sein, trösten. In dem Buch geht es um eine Frau, die sich entscheidet, dass sie nicht mehr laufen kann, sich aus der Welt zurückzieht und eine Fantasiewelt aufbaut. Um den Preis des Nicht-gehen-Könnens baut sie sich eine Art inneren Freiraum auf. Meine These war, dass man auch ohne äußere Freiheit frei sein kann. Diese These versuchte ich in dem Buch zu beweisen – kam aber zu dem gegenteiligen Ergebnis. Oder in dem Buch Stille Zeile sechs, das ich anfing, als ich noch in der DDR lebte, war die Frage: Warum bin ich eigentlich noch hier? Als ich auf Seite fünfzig war, dachte ich: Ich bin noch hier, weil ich nicht verloren haben will. Dann haben wir be­schlossen, dass wir gehen, und ich habe das Buch noch mal von vorne angefangen. Als die Mauer fiel, habe ich es nochmals von vorne angefangen. Unser Leben, mein Leben, hängt eng mit den Verhältnissen zusammen, in denen wir leben.

DKM | Was beschäftigt Sie derzeit im Zusammenhang mit dem Schreiben eines Buches?
MM | Im Augenblick brauche ich aus irgendeinem Grund die Vermittlung durch Tiere, um die Menschen überhaupt noch zu verstehen. Ich finde es interessanter, über das Menschen­leben nachzudenken in Bezug auf das Tier – es muss auch nicht immer ein Hund sein, der ja domestiziert ist. Das geht mir nun schon seit zwei Büchern so. Schließlich ist der Mensch auch Tier, ein Tier mit Verstand. Wir haben den Tieren ja lange keine Intelligenz zugestanden, aber nun wissen wir, dass unser Genom sich nur in zwei oder drei Prozent von den entwickelten Säugetieren unterscheidet, und wir sehen die Tiere mit anderen Augen und lernen dabei auch etwas über uns selbst. Wir leben mit Tieren in den Städten, weil sie hier besser leben können – wie hier in Berlin die Wildschweine, Füchse und Krähen. Auf dem Land ist es für sie eher ungemütlich, und sie finden in der leergeräumten, auf industrielle Landwirtschaft ausgerichteten Landschaft in Norddeutschland und Brandenburg keine Nahrung und keinen Schutz.

DKM | In einer Rede zur Verleihung des Erich-Fried-Preises an die Schriftstellerin Judith Hermann sagen Sie: «Eine Sehnsucht, die ihren Gegenstand nicht kennt, eint die Figuren in Judith Hermanns Erzählungen.» Sehnsucht erkenne ich auch in der Frau, die Sie in den Endmoränen schildern, eine Sehnsucht, die nicht eindeutig ist.
MM | Sehnsucht bezieht sich entweder auf Vergangenes, das die Kindheit kennt oder ein früheres Glück – oder es ist die Sehnsucht nach dem Paradies, eine Fantasiewelt also. Aber Glück ist, wie wir wissen, flüchtig – und doch will man dieses Glück, wenn man es einmal empfunden hat, immer wieder. Wahrscheinlich macht es uns am glücklichsten, nach dem Glück zu suchen … Die Menschen werden in unserer Gesellschaft in eine durchkalkulierte Welt geboren – in eine Welt, in der alles geplant ist bis zum Lebensende: die beste frühkindliche Förderung, die besten Schulen, eine gute Ausbildung, ein gutes Gehalt, dann eine sichere Rente. Die Rentabilität des Menschen ist berechnet und wird erwartet. Seltsam, dass mich das an mein Buch über die Situation in der DDR erinnert, an Die ÜberläuferinEs ist deprimierend, wenn ich Fünfundzwanzigjährige darüber reden höre, was mal aus ihrer Rente wird. Einerseits kann man es verstehen, andererseits: Was ist das Leben? Offensichtlich gibt es aber eine Sehnsucht nach «mehr», nach dem Unvorhersehbaren, nicht Geplanten, nach dem Risiko der Freiheit.