Jonas Anderhub & Christof Wolfisberg im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

«Ohne Rolf» – Der Name gibt zu denken …

Nr 185 | Mai 2015

Was ist los, wenn zwei Komiker während der gesamten abendfüllenden Veranstaltung auf der Bühne schweigen – und wir dennoch lachen? Das Schweizer Duo «Ohne Rolf» animiert uns, ihre Dialoge auf großen bedruckten Plakaten zu lesen. Was absurd klingt, funktioniert erstaunlich gut mit Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg: Ihre Szenen und die abendfüllenden Theaterstücke wirken überraschend, sind intensiv. Schmunzeln garantiert. Lesend schauen wir den beiden bei den Umblätteraktionen ihres Dialoges zu, verfolgen gespannt die kleinen Stolperszenen ihres Beziehungsdramas. Und wir merken, dass sich lesend unser Gedankenfluss verlangsamt: Wir stoßen auf Wörter, Begriffe, deren Doppelbödigkeit wir überhört haben. Ein Lese- und Lach-Anstoß, der zu denken gibt.

Doris Kleinau-Metzler | Jeder, der den Namen Ihres Duos liest, Ohne Rolf, fragt sich: Warum ohne Rolf?
Christof Wolfsberg | Jonas und ich lernten uns in Luzern über unser Interesse an Zauberkunst und Theater kennen und be­schlossen vor über zehn Jahren, etwas gemeinsam zu machen. Wir hatten erst zehn Minuten Programm in der Plakatform, als die Frage nach dem Namen aufkam. So sagt Ohne Rolf etwas über unseren Humor aus. Im Kopf des Lesers entsteht – wie bei Ihnen – die Frage: «Da fehlt also einer» oder «Wo ist Rolf?». Für den Zuschauer beginnt innerlich eine Geschichte, er hat Ver­mutungen dazu – und das ist, was uns interessiert: Der Name gibt zu denken.
Jonas Anderhub | Und der Name ist logisch, weil der Rolf ja nicht da ist … Wir haben zunächst beide gezaubert, auf öffentlichen Festen, bei Firmen, Hochzeiten, Geburtstagen. Dann entstand die Idee, dass wir etwas zusammen in einer Fußgängerzone auspro­bieren wollten – denn als Straßenkünstler hat man das ehrlichste Publikum: Die Leute bleiben nur stehen, wenn etwas geboten wird, was sie interessiert. So stellten wir uns mit kleinen Plakaten in die Einkaufszone. Darauf stand als Erstes: «Beachten Sie uns nicht!» Wir standen in unerschütterlicher Ruhe einfach da ? und Leute blieben stehen. Dann blätterten wir zum nächsten Plakat: «Gehen Sie weiter! Hier wird nichts passieren.» In einer Folge von kleinen Plakaten versuchten wir, die Zuschauer zum Gehen zu bewegen. Das ist uns nicht gelungen ? die Leute waren neugierig, wie es weitergeht.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Das Blättern war erfunden. Wie sind Sie zur Laufbahn des freien Künstlers gekommen?
JA | Als Kind habe ich schon sehr früh mit meinem ersten Zauberkasten herumkombiniert, eigene Dinge dazu gebastelt, Maschinen erfunden. Dann habe ich Theaterkurse besucht, beim Kinder- und Jugendtheater mitgespielt, Zauberstunden von meinem Paten geschenkt bekommen. Auch wenn ich im Hinter­kopf allmählich wusste, dass ich etwas Eigenes, Kreatives machen will, habe ich erst – genau wie Christof – eine Ausbildung als Grundschullehrer gemacht. Mit 20, 21 war für mich noch offen, ob ich mehr in Richtung Musik oder Theater gehen will. Ein Jahr war ich dann in Paris an der Schauspielschule Jacques Lecoq, wo an­gehende Künstler aus der ganzen Welt mit den unterschiedlichsten Ideen zusammentreffen. Entscheidend hat mich auch das Klein­theater Luzern geprägt, an dem ich über Jahre als Platzanweiser gearbeitet habe. Dort haben Christof und ich uns immer wieder mal getroffen und unzählige Kleinkunstprogramme gesehen.
CW | Bei mir stand auch am Anfang und sehr früh das Zaubern im Mittelpunkt, doch schnell bin ich über den Zauberkasten hinausgewachsen und habe neue Dinge kreiert. Ein Schlüssel­moment war wohl ein Familienfest: Ich stand auf dem Kamin­ofen, habe meine ersten Tricks gezeigt und dazu etwas erzählt ? und die Verwandten lachten. Das war wahrscheinlich vorwitzig und frech, aber es funktionierte. Und mit dem Zaubern hat man zusätzlich zum Gesagten einen Effekt im Köcher, der die Leute überrascht. Sieben Jahre lang hatte ich dann bei dem Zauber­künstler Alex Porter Zauberstunden; er war eine Art Mentor für mich. Während des Lehrerstudiums hat er mir viele Auftritte vermittelt, und ich konnte mir etwas dazuverdienen. Das Theater hat mich auch früh fasziniert. Vier Jahre habe ich an der Schauspiel­schule Zürich das Grundhandwerk der Bühne studiert, dabei auch Konzepterstellung, Regie und Scheinwerferaufbau gelernt.

DKM | Zauberei scheint mir auch, wie Sie als Ohne Rolf mit vorher angefertigten Sätzen ein Ihnen unbekanntes Publikum in eine Art Gespräch verwickeln. In den Szenen passiert zudem mehr als nur einfaches Umblättern …
JA | Der Rhythmus, die Zeitdauer und die Art und Weise des Blätterns sind wichtig und werden vorher genau ausprobiert – zumal wir ja beim Blättern nicht den Text des anderen sehen, aber mitdenken müssen und darauf reagieren. Für unser Spiel haben wir uns für die Reduktion entschieden, wenn auch nicht so extrem wie in den Filmen von Buster Keaton, der ja nie das Gesicht verzieht – und man weiß trotzdem, ob er traurig oder fröhlich ist.
CW | Der Entscheid zur Reduktion als Spielprinzip hängt auch damit zusammen, dass das Publikum so mehr in uns hineininterpretieren kann – das lässt Zwischentöne zu und nimmt den Zuschauer als Individuum ernst. Wenn jeder Satz mit einer entsprechenden Mimik von uns untermalt würde, nimmt es dem zuschauenden Leser etwas von seiner persönlichen Interpretations­freiheit.

DKM | Als Zuschauerin bemerke ich umso genauer Ihre wenigen und unerwarteten Spiel-Elemente wie Gesten, Mimik oder das Herabsteigen von der Leiter.
CW | Ja, die Reaktionen der Zuschauer sind immer mitgedacht. Wie beim Zaubern ist das Überraschungselement wichtig für unser Spiel – das heißt, die Erwartungen der Zuschauer werden unterwandert oder vorweggenommen; der Effekt kommt dadurch von einer unerwarteten Seite. Wir versuchen als Darsteller eine Balance zu finden, indem wir nur in gewissen Momenten aktiver agieren – aber nicht übermütig werden, wenn das Publikum im Saal begeistert reagiert. Immer wieder kommen wir auf eine gewisse Neutralität zurück. Die strenge Form der Reduktion hilft uns, wie von außen auf das zu schauen, was wir tun – zumal wir nur maximal vier Zeilen Platz haben, um etwas auf dem Plakat auszudrücken. Das Material dafür ist vorhanden: Wir alle benutzen in unserer Alltagskommunikation Floskeln, die vielschichtig sind, weil wir das Gedachte und Gefühlte in dem Moment nicht besser ausdrücken können. Daher lässt sich vieles aus unseren Alltagsgesprächen gut plakativ darstellen, und es steckt dennoch viel dahinter. Genau das interessiert uns. Insofern spiegelt sich auch das Streiten zwischen Jonas und mir (zum Beispiel um einen Programmpunkt) in den Plakaten. Die Plakate sind eine Art Katalysator unserer Alltagskommunikation, aus denen man die Essenz herausfiltern kann. Diese Bindung an die Darstellungsform des Plakats ist aber natürlich auch eine Be­grenzung der Ausdrucksform.
JA | Wir nehmen unser Spiel ernst. Wir reden extrem viel miteinander – um auf der Bühne zu schweigen. Alle unsere Stücke sind Theaterstücke, die lustig sind, weil wir es auch gern lustig haben, aber nicht nur. Im ersten Stück Blattrand haben wir mehr mit der Plakatform gespielt, Redewendungen benutzt und zerpflückt. Jetzt, im dritten Stück, Unferti, kamen neue Themen hinzu, und wir gehen inhaltlich ein Stück weiter, tauchen stärker in eine Geschichte ein. In einer Szene muss ich beispielsweise meine Gedanken ordnen, und ich gehe von der Leiter runter und ordne die Plakate auf dem Fußboden. Das ist sicher auch für die lesenden Zuschauer anspruchsvoller.

DKM | Sie sind auch in China erfolgreich aufgetreten sind. Können Sie denn Chinesisch?
JA | Wir nicht, aber die Chinesen … denn in den Köpfen der Leser der übersetzten Blätter klingt unser Chinesisch sogar ganz und gar akzentfrei …! Natürlich haben wir uns auch erst gefragt, ob ein hier entstandenes Stück überhaupt auf China übertragbar ist – aber die Zuschauer haben, den chinesischen Text lesend, sogar meist an denselben Stellen gelacht wie hier in Europa. Das ist das global verständliche Menschliche, das Mit- und Zwischenmenschliche.

DKM | Wie geht es weiter mit dem Blättern?
JA | Wir könnten uns vorstellen, Theaterstücke mit Plakaten zu inszenieren – zum Beispiel Warten auf Godot von Samuel Beckett. Mit professionellen Schauspielern in einem festen Ensemble könnte man auch andere Theaterstücke so bearbeiten. Oder aber einen Film in dieser Art gestalten. Das sind bisher aber bloß Ideen.
CW | Wichtig ist uns, dass wir alle vier Jahre ein halbes Jahr Pause machen und jeder von uns an eigenen Projekten arbeiten kann. Das hält uns gegenseitig attraktiv, denn wir haben meist dieselben Arbeits­quellen und meinen auch oft schon zu wissen, was der andere denkt. So können wir uns in der Auszeit wieder von anderen Dingen inspirieren lassen. Der Erfolg soll uns nicht fremdbestimmen, denn letztendlich ist es Lebenszeit, die wir geben. Wir wollen unsere Arbeit immer noch gern machen und mit ernstem Interesse. Aus der Distanz zum Bisherigen kann sich neue Kreativität entwickeln.