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Thomas Neuerer

Brodelnder Schönklang

Nr 186 | Juni 2015

In diesem Monat erscheint bei Audite eine Box mit dem gesamten Kammermusikschaffen für Streicher des am 3. Februar 1809 in Hamburg geborenen und am 4. November 1847 früh in Leipzig verstorbenen Felix Mendelssohn-Bartholdy, das in den letzten Jahren vom Pfälzer Mandelring-Quartett aufgenommen wurde.
Das Mandelring-Quartett besteht zu drei Vierteln aus den Ge­schwistern Nanette, Sebastian und Bernhard Schmidt, zum Viergespann wird es mit dem Bratschisten Roland Glassl. Das Ensemble wurde vor dreißig Jahren gegründet und hat zahlreiche Preise für seine Interpretationen erhalten. Preiswürdig ist auch das Engagement der Musiker für die kammermusikalische Streicher­musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy (im Oktett kommt das Quartetto di Cremona hinzu, bei den Quintetten der Bratschist Gunter Teuffel). Den Aufnahmen wird in der journalistischen Fach­welt bereits Referenzstatus eingeräumt.
Schon die frühen Quartette Mendelssohns sind den «Klassikern» von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert ebenbürtig. Mendels­sohn hat Zeit seines kurzen Lebens fleißig musikalisch geforscht. So ist ihm u.a. auch die Renaissance des damals nahezu vergessenen Bach zu verdanken.
Für seine Quartette hat sich Mendelssohn intensiv mit Beethovens Leistungen innerhalb dieser Gattung, insbesondere mit dem Spätwerk, beschäftigt. Entsprechend hoch ist der Anspruch, den er an sein eigenes Schaffen stellt. Sind die frühen Quartette – da war der Komponist noch keine zwanzig Jahre alt – an klassischen Vorbildern orientierte virtuose Stücke, die während Konzerten im Hause Mendelssohn aufgeführt wurden, spiegeln vor allem die späten Quartette die Gefühlswelt Felix Mendelssohns.
Intensiv lässt sich dies am f-moll-Quartett, op. 80, nachvollziehen, das kurz nach dem Tod von seiner Schwester Fanny entstand und nur wenige Wochen vor seinem eigenem Tod. Die Sätze sind durch­zogen von tiefer Erschütterung, Klage und Trauer – aber auch Wut. So viel Ausdruck und Emotion findet man erst in der Quartett-Literatur des 20. Jahrhunderts wieder.
Mendelssohn wurde lange als zu leicht befunden, wohl auch weil es ihm scheinbar mühelos gelang, eingängige Melodien zu erfinden. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Das wird in den vor­liegenden Interpretationen hörbar.
Das Mandelring-Quartett erliegt nie der Gefahr, den durchaus vorhandenen Schönklang der Mendelssohnschen Melodien mit reichlich Vibrato noch zu versüßen. Ganz im Gegenteil: Vibrato wird in feiner Dosierung eingesetzt. Und das tut den Werken außerordentlich gut. Was bei Mendelssohn filigran und fein verästelt angelegt ist, kommt hier vollendet zur Geltung, wenn der Ton immer zarter wird, bis er fast erstirbt. Und wo kraftvolles Zupacken geboten ist, leistet auch dies das Ensemble, dass es eine helle Freude ist. Die den Werken innewohnende Tiefe wird durch das Mandelring-Quartett zudem aufs Schönste erschlossen.
Hervorragend unterstützt werden die Musiker durch eine ausgezeichnete Aufnahmetechnik, die das Ensemble räumlich, aber nicht zu breit darstellt. Die Instrumente erscheinen nah, aber doch noch so fern, dass man sich als Zuhörer in angemessener Distanz wähnt, vielleicht gerade so, wie die Werke in einem bürgerlichen Salon ursprünglich erklangen.
Was das Mandelring-Quartett mit dieser CD-Box dokumentiert, ist interpretatorisch und technisch State of the Art und sei jedem Musikfreund ans Herz gelegt.

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