Birte Müller

Wenn mein Mann die Kinder anzieht

Nr 186 | Juni 2015

Mit manchen Dingen ist mein Mann überfordert. Dazu gehört, morgens mit mir zu sprechen oder einen Einkaufszettel mitzu­nehmen. Auch Kinderklamotten haben meinen Mann ab dem Tag von Willis Geburt überfordert. Und es ist ja auch wirklich kompliziert: Da gibt es Bodys, Jäckchen und Hemdchen, da wird gewickelt, geschleift und ohne Ende geknöpft (Knopfreihen, die sich irgendwo am Bein dreiteilen und NIE auf Anhieb richtig geknöpft werden, selbst wenn das Baby dabei schläft). Mal wird vorne, mal hinten und mal unten oder oben oder an der Seite geschlossen. Bei jedem Teil ist es anders! Ich hatte wirklich viel Verständnis für die Forderung meines Mannes nach Sprühklamotten, vor allem wenn man be­denkt, dass Willi sich schon als Säugling wie ein Aal beim Anziehen gewunden hat und man zusätzlich die ersten zwei Lebensjahre ständig noch alle mög­lichen Kabel und Schläuche an ihm mitkoordinieren musste.
Die Behauptung, dass Männer besser räumlich denken könnten als Frauen, halte ich – zumindest in Bezug auf Kinderklamotten – für definitiv falsch. Oft habe ich meinen Mann beobachtet, wie er die Ärmchen unserer Kinder zum Test ein paar Mal anwinkeln musste, um zu schauen, in welche Richtung das Gelenk knickt, bevor er es in ein Loch einfädelte (was dann oft die Beinöffnung war).
Mittlerweile sollte es vergleichsweise simpel sein, dafür zu sorgen, dass unsere sechs und acht Jahre alten Kinder vernünftig angezogen sind. Gut, das Anziehen bei Willi ist noch immer eine Heraus­forderung – er hasst das einfach und rotiert dabei noch immer oft wie ein Kreisel. Aber womit mein Mann sich richtig blöd anstellt, ist die Kleiderauswahl. Er kann sich niemals daran gewöhnen, dass ein Pullover, der einmal Willi gehört hat, nun seit zwei Jahren im Schrank seiner Schwester liegt. Er kann nicht umdenken. Egal wie klein er ist, er bleibt für IMMER Willis Pulli – und er wird daher auch Willi angezogen, egal wie schwer er über den Kopf geht oder dass die Ärmel bei den Ellenbogen enden! Übrigens hat mein Mann da gar kein Problembewusstsein, er merkt das gar nicht! Und was einmal an ist, bleibt auch an – ob es ein Loch oder einen Fleck hat oder die Nähte nach außen zeigen. Geschafft ist geschafft.
Natürlich kann ich mir nicht verkneifen, blöde Kommentare dazu abzugeben. Und natürlich sagt mein Mann dann zu mir: «Dann steh du doch morgens um 6 Uhr auf und zieh Willi an!» Recht hat er ja, aber trotzdem begreife ich nicht, wie es sein kann, dass er zielsicher immer genau die Klamotten aus dem Schrank zieht, die von mir extra ganz unten einsortiert wurden und nur noch für den absoluten Notfall darin liegen? Ich müsste an den Tagen, an denen mein Mann «Morgen-Willi-Dienst» hat, kleine Klamottenstapel bereitlegen – so wie es meine Mutter bis heute für meinen Vater tut. Aber das geht zu weit!
So schlecht loslassen kann ich dann nun doch wieder nicht. Das ist der Preis, den eine berufstätige Mutter bezahlen muss, wenn sie ihrem Mann Verantwortung für die Kinder überlässt: Sie sind mal zu kalt, mal zu warm und in der Regel ziemlich bescheuert angezogen (was zugegeben bis jetzt beide ganz gut überlebt haben). Für wichtige Termine – wenn sich zum Beispiel der Schulfotograf angekündigt hat – trage ich dann aber schon in den Kalender ein, dass die Kinder vernünftig angezogen sein sollten. Natürlich liest mein Mann so etwas gar nicht oder vergisst es sofort wieder.
Auf dem Gruppenfoto ihrer Vorschulklasse ist unsere Tochter Olivia zu sehen, mit ungekämmten Haaren und einem feuerroten, zerfetzten Flamenco-Kleid – und sie sieht sehr glücklich aus!