Birte Müller

Effizienzirrsinn

Nr 187 | Juli 2015

Ich weiß ja nicht, ob es allen Eltern so geht wie mir, aber wenn sich meine Kinder selbst beschäftigen, sind das heilige Momente für mich! Es ist mir dann fast egal, was sie gerade tun, ich lasse sie einfach machen – wenn es sich nicht gerade wieder um den Bau einer Rutschbahn im Bad mit der teuren Hautlotion handelt. Oft tue ich so, als hätte ich nicht bemerkt, was die Kinder treiben, einfach nur, um sie mal eine Weile ohne mein Zutun beschäftigt zu wissen und dabei etwas Zeit zu gewinnen.
Zeitgewinn scheint mein größtes Bestreben zu sein: Zeit, um schnell eine SMS zu schreiben, um eilig etwas aufzuräumen, zu putzen oder einen Brief zu öffnen. Es sind oft nur wenige Minuten. Selbst die kleinste Handlung unterbreche ich meist mehrmals, weil sich das Zeitfenster, das sich kurz aufgetan hat, schon wieder schließt. Aber ich denke, ich muss jede Sekunde nutzen, damit das fragile Gesamtgefüge von Familie, Haushalt und Arbeit nicht auseinanderfällt. Sobald die Kinder irgendwie beschäftigt sind, beginne ich wie irre zu rödeln, um diese Zeit UNBEDINGT effektiv zu nutzen.
Ich würde zu gern mal eine Studie machen, um zu sehen, wie effizient diese Taktik eigentlich ist. Zum Beispiel lasse ich Willi unten mit einer Packung Salzstangen spielen, um währenddessen das obere Stockwerk zu saugen – aber ich fürchte, dass die Beseitigung des so entstandenen Chaos nicht weniger Zeit braucht, als ich dabei gewonnen habe. Meist ist es sogar ein Minusgeschäft! Trotzdem falle ich immer wieder darauf rein und denke, dass ich am Ende einen zeitlichen Nutzen davon habe, wenn ich so tue, als hätte ich es nicht bemerkt, dass Olivia beim Malen auf einem großen Blatt angefangen hat, die Tuben zu leeren und die Farbe mit Händen, Füßen und dem Hintern zu verteilen, während ich oben in meinem Zimmer eine wichtige E-Mail beantworte. Neulich habe ich Willi seinen gesamten Kleiderschrank ausräumen lassen, um in der Zeit Wäsche zusammenzulegen. Deutlicher konnte mir der Irrwitz meiner Pseudo-Effektivität gar nicht vor Augen geführt werden!

Auch Willis Kirschkernbad, das wir jahrelang im Haus hatten und das als Therapie gedacht war (eine riesige Holzkiste, gefüllt mit 60 kg Kirschkernen, die die Körperwahrnehmung und überhaupt irgendwie alles fördern sollten) ist immer eher eine Therapie für mich gewesen (nämlich Beschäftigungstherapie). Der einzige echte Spaß, den Willi damit hatte, war der, die Kirschkerne bergeweise herauszuwerfen und sie dann in jeder Ritze seines Zimmers zu verteilen. Na ja, das stimmt nicht ganz, es hat ihm auch viel Spaß gemacht, die Kirschkerne durch die (aus gutem Grund) winzige Futteröffnung in sein Aquarium zu stecken. Damit hat er sich wirklich auch mal länger beschäftigt, sodass ich in der Zwischenzeit die Spülmaschine aus- und wieder einräumen konnte. Aber fischen Sie mal aus einem Aquarium Kirschkerne heraus, die zwischen kleinen Kieselsteinen liegen! In der Zeit hätte ich das Geschirr genauso gut mit der Hand abwaschen, abtrocknen und in die Schränke räumen können. Aber es geht mir wohl auch nicht nur um Effizienz, sondern ich will eben einfach manchmal etwas allein tun – und meine Kinder sollen das auch dürfen.
Und ganz langsam beginne ich zu begreifen: Zeitsparen ist gut, aber Nervensparen ist wahrscheinlich noch wichtiger. Deswegen tue ich zwar weiterhin so, als würde ich den Blödsinn nicht bemerken, den meine Kinder anstellen, aber ich setze mich währenddessen lieber öfter mal hin und trinke in Ruhe einen Kaffee und freue mich über die kleine Pause, bevor es dann wieder losgeht mit der Katastrophen­bewältigung.


Das Bild zeigt übrigens Willi als «Action Painter» …
Künstler: Willi | Titel: Unbekannt | Technik: Penaten-Creme auf Glasscheibe. Das Werk entstand während einer Performance im Jahr 2014 im Rahmen eines seit 2007 stattfindenden Dauerhappenings des Künstlers. Das Original ist leider nicht erhalten.