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Christian Hillengaß

Alles ist verwandelbar

Nr 191 | November 2015

Bunt und vielfältig leuchten die Werbepostkarten zur ersten großen Bauhausausstellung von 1923. Derart vielgestaltig und farbig, dass sie so gar nicht zu dem passen wollen, was gemeinhin mit dem Bau­­haus verbunden wird: rationale Kühle, einheitliche klare Formen und asketische Gradlinigkeit. Die Präsentation der bunten Karten ist auch ein erstes Statement der aktuellen Aus­stellung Das Bauhaus //allesistdesign im Vitra Design Museum: Das Bau­haus war mehr als ein sauberer Stil der Moderne. Aus den Karten spricht die Vielfalt und Eigensinnigkeit der Charak­tere, die sie entworfen haben. Lyonel Feiniger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer und andere «Bauhaus­meister» – so hießen die Professoren am Bauhaus – wirkten mit ihren ganz unterschied­lichen Vorstellungen und persönlichen Im­pulsen am Geist der 1919 in Weimar gegründeten Reformkunst­schule. «Produktive Uneinigkeit» hat der Bauhäusler Josef Albers diese Atmosphäre einmal genannt. Sie war ein Motor des gemeinsamen Ziels, die Welt und den Menschen nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit gestalterischen Mitteln auf neue Wege zu führen.
Die Überzeugung, durch das bewusste Formen des Lebensumfeldes und der alltäglichen Gebrauchsgegenstände gesellschaftliche Ver­änderung hervorzubringen, verlangte eine Ausbildung von universell gebildeten, ganzheitlich denkenden Gestaltern, die sowohl handwerkliches wie künstlerisches, technisches wie philosophisches Wissen in sich vereinten. Dieser ganzheitliche Anspruch bestimmte die Ausbildung der Bauhausschüler und zog sich durch Fächer wie Architektur, Glasmalen, Weben, Tischlern, Fotografieren, Bühnen­gestaltung, Töpfern, Drucken und mehr. Und mit seinen rauschenden Festen, dem lebendigen persönlichen Mit­einander von Meistern und Schülern, seiner idealistischen Grund­stimmung und kreativen Umtriebigkeit war das Bauhaus mehr als eine gewöhnliche Ausbildungsstätte. «Junge Menschen, kommt ans Bauhaus», warb die damals führende Gestaltungsschule 1929 – und «junge Menschen kamen aus Deutschland und dem Ausland, nicht um korrekte Lampen zu entwerfen, sondern um an einer Gemein­schaft teilzuhaben, die einen neuen Menschen in einer neuen Umwelt erschaffen und die schöpferische Spontaneität freisetzen wollte», resümierte der Gründer Walter Gropius.
Dabei entstanden Ideen und Formsprachen, die bis heute prägend sind. Das zeigt die Ausstellung in Weil am Rhein, indem sie zahlreiche Bauhausexponate aktuellen Tendenzen gegenüberstellt und heutige Designer dazu befragt. In vier Bereiche gegliedert, wirft sie zuerst einen Blick auf den Entstehungskontext der Schule, dann auf die Objekte, die im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Ge­staltung und praktischer Funktionalität aus ihr hervorgingen. Sie beleuchtet die Gestaltung von Räumen, das Konzept des industrialisierten Bauens, das dem Anspruch «gesund und wirtschaftlich» genügen sollte. Abschließend geht es um die Kommunikations­kanäle, die das Bauhaus nutzte, um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und Verbündete für die Umsetzung der zahlreichen Ideen zu finden. Immer wieder wird die Präsentation der Bauhaus-Originale durch künstlerischen Kommentare aufgebrochen, mit denen heutige Designer, Architekten und Künstler in Form von Bildern, Objekten und Installationen Stellung beziehen.
Mit diesem Blick von heute entsteht die Frage nach Aktualität und Relevanz der damaligen Entwürfe und Ideen für die Gegenwart. Das beinhaltet vor allem auch die Frage nach dem gesellschaftlichen Potenzial und der Verantwortung von Design. Den umfassenden Designbegriff, wie ihn das Bauhaus lebte, führen die Ausstellungs­macher im Untertitel der Schau: Alles ist Design. Wenn alles Design ist, ist alles gestaltbar. Das wäre nicht nur eine mögliche Antwort, sondern auch eine frohe Botschaft.