Titelbild Hochformat

Dave Cousins

15 kopflose Tage

Nr 191 | November 2015

gelesen von Simone Lambert

Die Mutter von Laurence und Jay zieht ihre beiden Söhne allein groß. Sie ist Alkoholikerin und depressiv. Keiner weiß das besser als ihr fünfzehnjähriger Sohn Laurence. Er ist es, der seine Familie zusammenhält. Er sorgt für den kleinen, verhaltens­auffälligen Bruder, bringt ihn morgens zur Schule, weckt vorher seine Mutter und geht sogar für sie putzen, wenn sie zu betrunken ist, um aufzustehen. Dabei ist er keineswegs sozial auffällig, im Gegen­­teil. Laurence gibt sich in der Schule Mühe, schläft aber übermüdet im Unterricht ein.
Aber Laurence hat auch ein Geheimnis. Jeden Abend geht er zur Telefonzelle und beteiligt sich an einem vierzehntägigen Radio-Quiz, um eine Luxusreise für seine Mutter zu gewinnen. Weil er noch nicht volljährig ist, gibt er sich als sein verstorbener Vater aus. Mit Wissen und Rateglück wird er schließlich wirklich den Preis erringen. Doch es kommt anders, als er denkt.
Die Situation gerät aus ihrem ohnehin labilen Gleichgewicht. Die Mutter verschwindet plötzlich und ohne Nachricht. Ist ihr etwas passiert? Hat sie ihre Kinder verlassen? Laurence kämpft darum, den Schein einer intakten Familie aufrechtzuerhalten – beispielsweise vor der neugierig-giftigen Nachbarin Nelly –, denn er fürchtet das Sozialamt und eine Unterbringung in Pflegefamilien. Er geht sogar so weit, sich als seine Mutter verkleidet an die Bank zu wenden. Wie soll er ohne Geld Essen organisieren? Die gleichaltrige, selbstbewusste Mina, die aus gesicherten Verhältnissen stammt, kommt ihm zu Hilfe. Sie erkennt in den verzweifelt-komischen Abenteuern von Laurence ebenso seine Ohnmacht wie die Kraft und Beherztheit, mit der er vor allem seinen Bruder zu schützen versucht. Als Laurence seine Mutter auf dem Hausboot eines dubiosen Saufkumpanen entdeckt und sie sich weigert zurückzukommen – geschieht fast ein Unglück …
15 kopflose Tage ist eine ungeschönte Sozialstudie und zugleich ein moderner Jugendroman. Kurze Comicstrips leiten die Kapitel ein, die mit den verfremdeten Namen der 15 Wochentage ohne die Mutter überschrieben sind. Über die Dialoge und die ungewöhnliche Handlung entwickelt der Roman einen Drive, als sei sein Held einfach ein wenig verrückt. Aber es ist das Leben von Laurence und Jay, das verrückt ist. Mit Mitgefühl und Humor beschreibt Dave Cousins den schwierigen Alltag der Jungs. Wenn er Kakerlaken in der Küche, ungewaschene Kleidung oder verschimmeltes Essen schildert, ekelt es den Leser – und ungeschönt, aber nicht ohne Humor, zeigt Cousins vor allem eines: Armut. Armut, die die Möglich­keiten sozialer Teilnahme begrenzt, die über Hunger oder Nahrung entscheidet, die das Umfeld be­stimmt, in dem ein Mensch sich bewegt. Gegenüber der wohl­meinenden, hilfsbereiten Betreuerin aus Jays Kita fühlt sich Laurence etwa «wie ein Vampir, der vom Sonnenschein überrascht wird».
Cousins findet für Laurence und seine Familie einen ehrlichen Weg aus der Misere. Er geht über Vertrauen. Vertrauen in Hilfe. Dazu gehört die freundliche Unterstützung des Sozialarbeiters ebenso wie die Zuneigung Minas, die sich über Klassengrenzen hinwegzusetzen vermag. Der ersehnte Reichtum, den der Haupt­gewinn der Luxusreise symbolisiert, erweist sich nicht als Lösung der Probleme. Der Hauptgewinn in Laurence’ Leben ist er selbst, der nicht aufgibt. Und dieser Reichtum, so vermittelt es das ermutigende Ende, vermag viel zu verändern.

Dieses Buch ist eine ungeschönte Sozialstudie und zugleich ein moderner Jugendroman.