Wolfgang Dauner im Gespräch mit Ralf Lilienthal

Improvisation lässt sich nicht lernen

Nr 192 | Dezember 2015

Wolfgang Dauner, der am 30. Dezember 80 Jahre alt wird, hat mit allen Jazzern gespielt, die in Deutschland Rang und Namen haben, und mit unzähligen internationalen Musikern noch dazu. Und seine Schaffenskraft scheint ungebrochen, was zuletzt die Besucher der «Dauner // Dauner Konzerte» erfahren durften, die er zusammen mit seinem Sohn Florian, dem Schlagzeuger der «Fantastischen Vier», gespielt hat. Wer die deutsche Jazzlegende in seinem Stuttgarter Domizil besucht, betritt hochkultiviertes Terrain. Haus und Garten sind wirkliche Lebens-Orte, offensichtlich von der Künstlerinnenhand Randi Bubats gestaltet. Sie ist nicht nur Dauners Frau, Muse und Managerin, sondern bis heute Stylistin, Dozentin und Ausstatterin von Ballett- und Opernproduktionen.

Ralf Lilienthal | 80 Jahre Wolfgang Dauner – Ihr Jazzerleben überspannt annähernd die komplette deutsche Nachkriegsjazzhistorie – und es sieht ganz so aus, als würden die Liebhaber Ihrer Musik auch in den nächsten Jahren nicht auf den legendären Dauner-Pianoanschlag, «den typischen treibenden Sound», verzichten müssen. Wie sind Sie zum Jazz gekommen?
Wolfgang Dauner | Ich bin nicht zum Jazz gekommen, der Jazz war in mir. Jazz hat sehr viel mit Improvisation zu tun. Und die kann man nicht lernen. Das ist wie «Ballgefühl» – das hat man, oder man hat es nicht, egal ob du gegen einen Fußball trittst oder einen Basketball wirfst. Meine «Tante» war Klavierlehrerin. Bei ihr habe ich genauso nach den klassischen Regeln spielen gelernt wie alle anderen auch. Aber ich habe von Anfang an den Drang verspürt, auch bei diesen Stücken zu improvisieren. Das war noch kein Jazz, aber es hat ganz ähnlich funktioniert.

RL | Rückblickend war es für den kommenden Pianisten von Weltrang nicht gerade «unpraktisch», dass sein Schicksal ihn der Obhut einer strengen Klavierlehrerin anvertraut hat – auch wenn weite Teile Ihrer Kindheit eher hartes Brot gewesen sein müssten?
WD | Genauer gesagt waren meine familiären Verhältnisse eine Katastrophe. Das Schicksal, von dem Sie sprechen, hat mich dieser schon älteren Tante übergeben, obwohl sie selbst außerstande war, für mich zu sorgen. Also hat sie mich, als ich gerade einmal sechs Monate alt war, im Stuttgarter Stadtteil Cannstatt kurzerhand auf einen Leiterwagen ge­packt und ist mit mir auf der Suche nach irgendwelchen Pflegeeltern den Neckar entlang bis Münster gelaufen. «Da drüben …», sagte ihr dann eine hilfsbereite Frau, «da wohnt eine kinderlose ältere Dame.» Und bei der bin ich dann tatsächlich aufgewachsen.

RL | ... und dadurch auch in den Genuss der Klavierstunden gekommen.
WD | Bei der Tante drehte sich alles um Musik. Es gab Hausmusikabende mit einer Reihe von Künstlern. Und sie besaß weit und breit das einzige Grammophon und dazu ein paar Platten, mit Anklängen von dem, was ich dann später im Jazz wiedergefunden habe. Die habe ich schon als Junge nachgespielt. Richtig los ging es nach dem Krieg. Der AFN (American Forces Network) hat uns alle zum Jazz hingeführt. Mit Freunden haben wir die New Combo gegründet und im Amerikanischen Club aufgespielt: Tanzmusik. Dazwischen haben wir immer wieder improvisiert, und in den Pausen gab es Hamburger, French Fries, Zigaretten und Whisky – das war eine ziemlich turbulente Zeit.

  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

RL | Und wahrscheinlich eine ziemlich anstrengende – schließlich haben Sie gleichzeitig eine Schlosserlehre gemacht.
WD | Ich kann bis heute schweißen, fräsen oder drehen und war ein recht guter Handwerker. Auch hier musst du improvisieren können. Doch eigentlich war von Anfang an klar: Ich mache die Lehre und danach nur noch Musik! Mein Ausstieg waren dann Tourneen mit Marika Rökk und Zarah Leander – natürlich war das Unter­haltungs­musik, aber auch die musst du erst mal spielen können.

RL | Berührungsängste mit den Genres außerhalb der engeren Jazzszene hatten Sie jedenfalls nicht – wer ihre berufliche Vita überfliegt, entdeckt zwischen Filmmusik und Klassik-Jazz-Kompositionen eine ungeheure musikalische Bandbreite.
WD | Wenn du dir dein Leben selbst verdienen musst, brauchst du Fantasie und eine gewisse Beweglichkeit. Als ich die Chance hatte, zu kleinen Kinderfilmen zu komponieren, habe ich zugegriffen. Wenn man dich erst einmal kennt, führt eins zum anderen. Und weil ich mir mit dem Wolfgang Dauner Trio einen gewissen Namen gemacht hatte, hat mich Dieter Zimmerle gefragt, ob ich nicht eine Band zusammenstellen kann, die zusammen mit den durchreisenden Jazzern einmal im Monat ins Studio gehen und für seine Jazz­sendung ein paar Sachen aufnehmen kann. Daraus ist die Radio Jazz Group Stuttgart entstanden, mit der ich über 15 Jahre lang alles produzieren konnte, was es gab – Freejazz und Happenings inklusive!

RL | Sie waren dann über viele Jahre hinweg unfassbar produktiv – Arbeiten für Film, Fernsehen und Rundfunk, Tourneen, Konzerte und Schallplatten, ein zusammen mit anderen Musikern gegründetes, um Gerechtigkeit bemühtes Musiklabel … Wie haben Sie sich im Zentrum so vieler Aktivitäten gefühlt?
WD | Meine Neugier hat mich immer weiter getrieben. Mich haben immer sehr viele musikalische Richtungen und Ereignisse interessiert, auch elektronische Musik oder die Neue Musik auf den Donaueschinger Musiktagen. Und weil ich nicht gut Nein sagen kann, kamen immer mehr Projekte dazu. Das war, wie jetzt auch bei meinem Sohn, eine so schnelle Zeit, dass ich kaum eine Chance hatte, darüber nachzudenken, was da gerade passiert oder wie gut es mir eigentlich geht! Als Horst Lippmann, neben Fritz Rau einer der ganz großen Produzenten Deutschlands, unser Trio auf dem Frankfurter Jazzfestival gehört und uns einen Vertrag mit CBS vermittelt hat und Willis Conover die Platte dann in seiner AFN Show gespielt hat, da waren wir ganz oben. Und wir dachten, dass es immer so weiterläuft. Aber die Zeiten ändern sich. Immer! Die Magie der «Schwarzen Platte» wurde durch die aufkommende CD kaputt gemacht. Jeder Depp kann heute im Hinterzimmer eine CD in Studioqualität aufnehmen. Und auf der anderen Seite des Business ist das nicht anders: Da sitzen dann drei knapp dreißig­jährige Filmleute vor dem Komponisten und lauschen seiner Arbeit. Am Ende sagt der Erste: «Ja, nicht schlecht!» Der Zweite: «Du, ich weiß nicht!» und der Dritte sagt: «Das geht gar nicht!» Dafür gibt es in Hollywood ausgebildete Musikdirektoren – bei uns ist das sehr oft nur noch subjektiv-geschmäcklerisch.

RL | Und selbst wenn etwas professionell produziert wird, führt das ja keineswegs auf einer Einbahnstraße zur wirtschaftlichen Absicherung der Musikerlaufbahn.
WD | Anfangs hatten wir Plattenverträge, die passten auf eine DIN-A4-Seite. Nach den ersten schlechten Erfahrungen wurden sie immer länger. Und wehe, du hast sie nicht richtig gelesen! Eigentlich musst du deinen Rechtsanwalt immer mitbringen. Aber selbst dann läuft noch vieles an dir vorbei. Eines unserer Stücke ist mal auf einem in Asien produzierten Sampler gelandet und über 100.000-mal verkauft worden – für uns blieb gerade mal ein Taschengeld übrig.

RL | Zu Ihren herausragenden musikalischen Erfahrungen dürften die Jahre mit dem United Jazz und Rockensemble gehören – im Zusammenspiel mit virtuosen Kollegen wie Barbara Thompson, Jon Hiseman, Volker Kriegel, Albert Mangelsdorff, Charlie Mariano oder Eberhard Weber. Was macht eine gute Band aus?
WD | Es darf keinen Wettbewerb geben. Die Competition ist der Tod jeder Improvisation. Im United Jazz und Rockensemble, deren Mitglieder aus dem Stand einen ganzen Solo-Abend hätten spielen können, war das wunderbar paritätisch ausgesteuert. Wenn alle dienlich spielen, die anderen begleiten und dann wieder selbst zum Solo kommen können, dann macht Musik unglaublich Spaß.

RL | Wie steht es, was den Spaß angeht, mit dem Freejazz?
WD | Albert Mangelsdorff hat mal gesagt: «Freejazz ist der allereinfachste Jazz.» Das liegt daran, dass es keine Kriterien gibt. Man kann nur sagen: Es hat mir gefallen – oder nicht. In der gewöhnlichen Jazzimprovisation dagegen gibt es eine kurze thematische Komposition (24 Takte, 36 Takte, mit einem Mittelteil), die dauert zwei Minuten, nicht mal, aber du improvisiert darüber eine halbe Stunde! Da ist eine harmonische Struktur, eine rhythmische Struktur, und man merkt sofort, wenn einer aus der Band im 16. Takt «harmoniefremde» Töne gespielt hat. Ich habe mit einigen echt wilden Freejazzern gespielt und es hat einen Heidenspaß gemacht, weil du machen kannst, wonach dir der Sinn steht, und dich mal richtig auskotzen kannst. Aber ich möchte das nicht jeden Tag machen. Es ist zu einfach – ich möchte gefordert werden und auf eine kontrollierte Weise improvisieren.

RL | In jüngster Zeit spielen Sie mit einem ganz besonderen «Musikerkollegen» zusammen, einem Schlagzeuger, der nicht nur Bandmitglied der Fantastischen Vier und ein international gefragter Solist, sondern vor allem auch Ihr Sohn ist: Florian «Flo» Dauner!
WD | Ja, das hat eine ganze Zeit gedauert, bis wir zwei musikalisch zusammengekommen sind. Und glauben Sie mir, ich würde nicht mit ihm spielen, nur weil er mein Sohn ist. Der eine oder andere Konzertbesucher wird voyeuristisch auf uns schauen und sich fragen: Haben die beiden Ähnlichkeit miteinander? Gehen Sie respektvoll miteinander um? Mich interessiert nur die Musik, und Flos Schlagzeugspiel ist so unglaublich sensibel – zusammen mit meinem Klavier klingt das beinahe kammer­musikalisch – und das Publikum mag’s!