Lars Kraume im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Zwischen Tatort und den inneren Fragen

Nr 195 | März 2016

Lars Kraume, geboren 1973, gehört zu den vielseitigsten und produktivsten Regisseuren seiner Generation. Er drehte Tatort-Krimis für die ARD, arbeitet derzeit für das ZDF an drei Politthrillern und ist Drehbuchautor. Er hat so unterschiedliche Kinofilme gemacht wie das Roadmovie über eine fiktive Rockband «Keine Lieder über Liebe» (2001), den Zukunftsfilm «Die kommenden Tage» (2010) und das Drama «Meine Schwestern» (2013). Herausragend und vielfach ausgezeichnet ist sein Film über den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der ab Ende der 1950er-Jahre die Frankfurter Auschwitz-Prozesse vorbereitete, «Der Staat gegen Fritz Bauer» (2015). Die historischen Fakten und biografischen Details der Person Fritz Bauer (beeindruckend dargestellt von Burghardt Klaußner) beruhen auf jahrelanger Recherche und Arbeit am Drehbuch (gemeinsam mit Olivier Guez). Ein Film, der alle Altersklassen anspricht, nicht nur als Beleg eines fast vergessenen Klimas der 1950er-Jahre, sondern im besten Sinne unterhaltend und anregend. Ein Gespräch über die Arbeitsweise des Regisseurs.

Doris Kleinau-Metzler | Herr Kraume, in Ihrem Film Der Staat gegen Fritz Bauer ist man als Zuschauer betroffen, wie alle Behörden von hochrangigen Mitarbeitern des NS-Regimes durchsetzt waren. Und schockiert, wie der Paragraph 175 umgesetzt wurde (lang­jährige Zuchthaustrafen für Homosexuelle). Warum wurde das neben dem Hauptthema, der Suche von Fritz Bauer nach Adolf Eichmann (dem Organisator der «Judentransporte»), auch zum Thema des Films?
Lars Kraume | Aus Sicht des Drehbuchs ist es in zweierlei Hinsicht interessant: zum einen, weil es Teil von Fritz Bauer ist. Fritz Bauer heiratete, als er während der NS-Diktatur in Dänemark im Exil lebte, hat aber nie ein normales Beziehungsleben geführt. In Dänemark wurde er aktenkundig, weil er homosexuelle Kontakte suchte. 2014 hat das Jüdische Museum in Frankfurt in einer Ausstellung über Fritz Bauer auch diesen persönlichen Bereich dokumentiert. Das hat uns ermutigt, es ebenfalls zu zeigen. Zum anderen erleben wir als Filmleute oder Kinozuschauer heute einen ganz anderen Umgang mit Homosexualität: Wir haben mehr Freiheit ? kennen aber auch die Diskriminierung von Schwulen. Die Frage für den Film ist, wie man einem modernen Publikum von heute die Situation in den Fünfzigerjahren, die sozial und moralisch eben nicht komplett vom Dritten Reich abgetrennt waren, begreiflich macht. Denn die Idee und die Fakten für ein Drehbuch ist das eine, aber man braucht ein starkes Bild, um den Menschen überzeugend darzustellen und den moralischen Geist einer anderen Zeit anschaulich zu machen. Wir haben das Drehbuch für den Fritz Bauer-Film viermal neu angefangen. Fritz Bauer zu verstehen, seine Einsamkeit in dieser konservativen Zeit, in der er lebte, kann auch durch das Schicksal seines fiktiven Assistenten, der wegen des Paragraphen 175 erpresst und inhaftiert wird, ermöglicht werden (§ 175 wurde von den National­sozialisten verstärkt und in der Bundesrepublik bis 1969 entsprechend angewandt).

  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
  • img cat 2
Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Obwohl der Film Der Staat gegen Fritz Bauer mit einer dramatischen Schlussszene beginnt, wird man in das Geschehen, dessen Verlauf man historisch mehr oder weniger kennt, hineingezogen. Wie gelingt Ihnen das?
LK | Das Kino ist gnadenlos: Wenn Sie als Zuschauerin oder Zuschauer zu keiner der Figuren ein emotionales Verhältnis aufbauen können, ist Ihnen der Ablauf letztlich egal, es langweilt Sie. Wenn Sie sich dagegen mit dem Menschen irgendwie verbunden fühlen, wird es spannend, wie Menschen sich verhalten, die unter Druck geraten. Wie verhält sich ein Generalstaatsanwalt, der so isoliert ist wie Fritz Bauer, wenn am Ende die Bundesregierung sagt:
Bis hierher und nicht weiter, wir beantragen keine Auslieferung Adolf Eichmanns? Das muss glaubhaft sein. Wie wir es erzählen, ist es natürlich eine künstlerische Interpretation dieses Mannes. Unsere Geschichte von Fritz Bauer ist die Erlösungs­geschichte eines Mannes, der eigentlich unter den damaligen Bedingungen zur Untätigkeit verdammt war. Er drohte mit seinem Anspruch auf rechtliche Verfolgung der Täter unterzugehen – der Ohnmacht preisgegeben. Aber er fand dennoch Mittel und Wege, auch zur Auffindung von Adolf Eichmann entscheidend beizutragen. Und konnte am Ende sagen: Ich bleibe an meinem Platz, ich mache meinen Job weiter, wie es richtig und möglich ist. So kam es zu den Auschwitz-Prozessen. Unsere Interpretation der Geschichte erzählt, wieso dieser Mann die Kraft hatte, gegen alle Widerstände in Deutschland für diese Wahrheit aufzustehen.

DKM | Im Gegensatz zu Ihrem Fritz-Bauer-Film gibt es Filme, in denen ich mich trotz eines interessanten Themas unwohl fühle – weil die Musik etwa die Spannung extensiv steigert oder lange rührselige Szenen ausgebreitet werden, die mich fast automatisch zum Weinen bringen, aber mich eigentlich kalt lassen.
LK | Filme manipulieren immer und drücken Gefühle aus, die ich will, die das Publikum an einer gewissen Stelle spürt. Aber es ist etwas anderes, ob ich sage, jetzt stirbt die Figur unter großem Geigeneinsatz – oder ob ich die Zuschauer durch eine zurückgenommene Dramatisierung selbst entscheiden lasse, wieweit sie in ein Gefühl hineingehen. Kino arbeitet mit den Mitteln der Montage, der Art, wie die Schauspieler eine Person darstellen, die Szenen spielen. Entscheidend ist auch, wie man die Szenen aus dem umfangreichen Material, das man hat, schneidet und vertont. Alle diese Details erzählen etwas über das Gesamte. Wenn man sie nur aus der eigenen Weltsicht oder schablonenhaft beschreibt, zwingt man dem Ganzen lediglich den eigenen Stempel auf. Für mein Team und mich, den Kameramann, die Cutterin, den Musiker, ist wichtig, dass wir das Erlebnisfeld ein bisschen öffnen. Das macht den Film nach meiner Meinung reicher und komplexer ? und weniger manipulativ. Es geht immer um das Maß, wie ich meine Mittel einsetze.

DKM | In einer Diskussion im Frankfurter Filmmuseum schildern Sie aus Anlass des Films Meine Schwestern, dass Sie lange mit den verantwortlichen Fernsehleuten ringen mussten, damit nicht durch Schnitt und Musik eine tragische Situation noch emotionaler aufgeladen wird. Gibt es so etwas öfter?
LK | Bei meinem Film Die kommenden Tage wollte der Verleih zunächst, dass ich eine bestimmte Szene herausschneide, die reale Geburt eines Kindes. Aber diese Szene ist zentral, auch wenn sie manche als brutal erleben. Das sind natürlich Momente, wo man eine Reaktion des Publikums provoziert, aber nicht manipuliert: Die Leute können positiv oder negativ darauf reagieren und sind nicht gezwungen, durch Einsatz zusätzlicher Mittel nur ein Gefühl zu entwickeln. Ein Kind zu bekommen ist für die Hauptfigur extrem wichtig – und ohne diesen Wunsch, mit dem Kind zu leben, gibt es keine Hoffnung, keine Zukunft.

DKM | Was ist der Unterschied zwischen Ihren Fernsehproduktionen wie dem Tatort und Ihren Filmen?
LK | Der Unterschied zum Kino ist, dass man für das Fernsehen bestimmten Regeln des Genres gehorchen muss. Konkret heißt das für den Tatort, dass am Anfang eine Leiche präsentiert wird, die Ermittler-Persönlich­keiten sind wichtig ? und dann soll natürlich auch der Mörder geschnappt werden, damit die Sonntagabend-Stimmung nicht völlig ruiniert ist. Die Frankfurter Tatort-Reihe mit Nina Kunzen­dorf und Joachim Król habe ich eng betreut, und es hat sehr viel Spaß gemacht. Innerhalb bestimmter Grenzen hat man viel Gestaltungsraum.

DKM | Was motiviert Sie bei Ihrer Film­arbeit?
LK | Das Kino ist sozusagen ein Prototyp-Geschäft: Man macht jeden Film nur einmal. Ich mache solche Filme wahnsinnig gern, weil ich Filme gern mag – was ich wahrscheinlich meinem Vater zu verdanken habe, einem
Grafiker. Er hat schon früh mein Interesse für künstlerische Ausdrucksformen gestärkt, indem er mir zum Fotografieren eine Kamera in die Hand drückte; mit ihm habe ich auch viele ältere Filme der Filmgeschichte angesehen. Während der Teenagerzeit waren dann Filmemacher, vor allem Regisseure, meine Helden. Ich mag am Kino den Facettenreichtum seiner Ausdrucksmöglichkeiten. Es gibt von mir Filme ohne Drehbuch, nur mit den Menschen und ihren Gedanken zu einer Situation wie Keine Lieder über Liebe. Dann gibt es Filme, die aus einem bestimmten persönlichen Interesse kommen wie Meine Schwestern, weil mein Cousin, zu dem ich ein enges Verhältnis hatte, mit 25 Jahren an einem Herzfehler gestorben ist (an dem eine der Schwestern seit Geburt leidet). Vor Die kommenden Tage (gedreht 2008 zur Zeit der Wirtschaftskrise) bin ich zum ersten Mal Vater geworden und dachte: Wie sieht die Welt aus, in der mein Kind groß wird? Dieser Film zeigt ein Szenario zwischen Klimakatastrophe, Flüchtlingsströmen und Krieg. Viele sind erstaunt, wie aktuell er ist.
Wie man selbst auf das Leben schaut, sich mit vielen Fragen herumplagt und versucht, Antworten zu finden, drückt sich irgend­wie in den Filmen aus; es ist meine künstlerische Art, damit umzugehen. Durch meine bisherigen Filme habe ich aber auch gelernt, dass man nicht so viel Geld ausgeben darf, wenn man etwas kompliziertere Filme macht, die nicht Mainstream oder reine Unter­haltung sind. Liebesfilme und Actionfilme sind eben stärker nachgefragt, beim Genre Drama muss man mit weniger Geld und damit Zeit auskommen. Und das Drehbuchschreiben wird leider zu wenig gefördert.

DKM | Sie analysieren Ihre Filmarbeit und auch Ihre Misserfolge genau, selbstkritisch.
LK | Ich wüsste nicht, wie ich es sonst machen sollte. Wenn ich zum Beispiel mit meinem Team – es sind immer dieselben Leute – den fertigen Film anschaue, beurteilen wir ganz nüchtern: Was war gut, was war schlecht? Wie können wir es beim nächsten Mal besser machen? Dabei muss man natürlich aufpassen, sich nicht selbst kleinzumachen (gerade in der Entertainment-Branche, die von Selbstbewusstsein lebt). Dadurch verändert, entwickelt man sich. Wenn man das nicht macht, wäre das Leben eigentlich langweilig. Es ist überhaupt spannend, aus den Fehlern zu lernen, aber auch aus den guten Sachen ? und nicht auf einem Fleck stehen zu bleiben.