Birte Müller

Wegwerfgesellschaft II

Nr 196 | April 2016

Neben einer Tochter – die wie ich alles aufbewahren muss – habe ich auch noch einen Sohn, der ebenfalls kein vollwertiges Mitglied unserer Wegwerfgesellschaft ist. Er wirft zwar alles mögliche durch die Gegend (mit Vorliebe den von der kleinen Schwester gesammelten Krimskrams), aber er selbst entsorgt praktisch nie etwas in den Mülleimer. Alles, was ihn gerade nervt oder wofür er keine Verwendung hat, fliegt einfach in hohem Bogen davon. Sonst aber hat Willi nichts mit der viel zitierten Wegwerfgesellschaft zu tun – man könnte ihn sogar eher als echten «Anti­kapitalisten» bezeichnen. Er möchte nie etwas Neues haben. Seine abgeschredderte Lieblingspuppe sieht mit ihrem verfilzten Haarklumpen und dem verdreckten Körper wirklich zum Gruseln aus. Und dazu ist sie auch noch immer nackt, denn saubere Kleidung an der Puppe wäre eine wirklich unzumutbare Veränderung. Heimlich hat sie bei uns den Spitz­namen «Dreckstück» bekommen. Ihr musste neulich sogar ein Bein amputiert werden, was Willi erstaunlich gut verkraftet hat, denn alles war besser als eine neue Puppe!
Willis Weigerung an der Konsumgesellschaft teilzunehmen (außer wenn es um Nahrungsmittel geht) kann seine Umwelt natürlich nicht davon abhalten, ihn trotzdem ständig mit neuen Dingen zu belästigen. An Willi ist mir ganz klar geworden, wie oft es uns beim Schenken um uns selbst geht und nicht um den Beschenkten. Willi wickelt begeistert aus und wirft den Inhalt dann genervt von sich (außer natürlich – er ist essbar).
Ich könnte eigentlich den Großteil aller Geschenke für Willi immer gleich weiterverschenken oder (wenn ich es denn könnte) wegwerfen … Aber da Olivia ja ALLES gebrauchen kann, komme ich gar nicht erst in diese Konfliktsituation.
Für meinen Mann, der es reizarm liebt, sind Geburtstage und Weihnachten im wahrsten Sinne des Wortes eine Belastung, weil wieder zwei Kubikmeter Kram ins Haus geschwemt wird, der überall herumliegt oder aus offenen Schränken und Schubläden quillt.
Aber selbst er, der weiße Wände und freie Flächen liebt, ist nicht gut darin, etwas wegzuwerfen. In ihm kämpfen der Wunsch nach Klarheit und Minimalismus mit einem extrem ausgeprägten Spartrieb. Er liebt es zwar, Dinge zu entsorgen, aber eben erst dann, wenn sie wirklich aufgebraucht sind. Eine leere Cornflakes-Packung faltet er hoch erfreut zusammen und wirft sie blitzschnell (damit ich nicht mit Olivia noch etwas daraus basteln will) in den Papiermüll: Endlich ein Teil weniger in der Küche! Dinge, die er eigentlich gar nicht im Haus haben will, aber aufgrund seiner Knickrigkeit nicht wegzuwerfen vermag, schafft er gerne aus seinem Blickfeld, indem er sie «aufräumt». Das bedeutet bei meinem Mann, dass er das Zeug an irgend­einem abstrusen Ort versteckt, wo er gerade Platz findet. Aus den Augen, aus dem Sinn! Wir streiten uns darüber regelmäßig, denn ich finde, dass er es dann genauso gut auch wegwerfen könnte, denn man findet diese Sachen niemals wieder – auf jeden Fall nicht in den Momenten, in denen man sie benötigt.
Wenn ICH aufräume, dann räume ich RICHTIG auf: Alles aussortieren, Schrankböden putzen, Aufbewahrungsboxen besorgen und beschriften, Excel-Tabellen anfertigen, in denen alphabetisch aufgeführt ist, was wo zu finden ist usw. So etwas braucht natürlich Zeit, und deswegen habe ich es auch noch nie getan. Aber so WÜRDE ich es tun! Bis dahin räumt eben mein Mann auf – und im Großen und Ganzen bin ich damit eigentlich doch ganz glücklich.