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Christian Hillengaß

Das Heil in der Kunst

Nr 203 | November 2016

Der Dokumentarfilm «Peggy Guggenheim: Ein Leben für die Kunst»

«Fanden Sie Ihr Leben verrückt?» – «Auf jeden Fall. Es ging nur um Kunst und Liebe.» So fasste Peggy Guggenheim 1979 ihr Leben zusammen, das damals einundachtzig Jahre zählte und noch im selben Jahr zu Ende ging. Ein bewegtes Leben war es, ein Leben am Puls der Zeit, wenn nicht sogar immer ein paar Pulsschläge voraus, denn sie benahm sich anders, als es für eine Frau damals schicklich schien und hatte zudem ein intuitives Gespür für das Kommende, das Moderne, das sich in der bildenden Kunst auflebte, aber seinen Platz in der Welt noch erobern musste. Diesem Kommenden gab sie Raum und suchte sich selbst Raum darin – suchte sich inmitten von Kunst und Künstlern einen Platz, eine Atmosphäre, in der sie leben konnte.
Diese Suche nimmt in New York ihren Ausgang, wo sie als Spross der Industriellenfamilie Guggenheim aufwächst und zur Volljährigkeit von ihrem Vater, der mit der Titanic ertrank, als sie vierzehn war, ein kleines Erbe bekommt. Mit dieser – gemessen am Reichtum der Familie – bescheidenen Summe macht sie sich auf den Weg nach Europa, ins Paris der 1920er Jahre, wo damals alles stattfindet, was in Sachen Kunst und Kultur neu und auf­regend ist. Sie taucht ein in die dortige Bohème, lernt Schriftsteller und Künstler kennen und sammelt vorerst eher Künstler als Kunstwerke, hat zahlreiche Affären, unter anderem mit Samuel Beckett, Yves Tanguy oder Marcel Duchamp, um nur ein paar der Bekannteren zu nennen. Immer mehr wird sie aber auch von der Kunst angezogen, entwickelt einen Blick für die moderne Malerei, insbesondere für die surrealistische und abstrakte, und eröffnet schließlich 1938, gut beraten von Marcel Duchamp, in London ihre erste Galerie. Dann kehrt sie zurück nach Paris – mit dem Wunsch ein Museum zu eröffnen und dem Vorsatz, jeden Tag ein Bild zu kaufen.
Diesem Vorsatz kommt zugute, dass viele Künstler auf der Flucht vor den Nationalsozialisten sind, Europa verlassen müssen und ihr die Werke zum raschen Verkauf antragen. So legt sie den Grundstock ihrer umfangreichen Sammlung. Auch für sie als Jüdin spitzt sich die Lage zu – und nachdem sie mehreren Freunden zur Flucht verholfen hat, flieht sie zusammen mit dem Künstler Max Ernst, den sie später heiratet, nach Amerika. Ihre Sammlung kann sie auf Umwegen mitführen und eröffnet damit 1942 ihre New Yorker Art of This Century Gallery.
Ende der vierziger Jahre zieht es sie zurück nach Europa, mitsamt ihrer Kunst, mit der sie in Venedig in den Palazzo Venier dei Leoni einzieht. Dort verbringt sie ihren Lebensabend, dort ist sie begraben und dort kann man ihre Welt und ihre Sammlung bis heute erspüren und besichtigen.
Der nun auch als DVD erhältliche Dokumentarfilm Peggy Guggenheim: Ein Leben für die Kunst folgt diesem hier nur oberflächlich umrissenen Lebensweg und vertieft das Bild von der großen, extravaganten, nymphomanischen Mäzenin um die Sicht auf eine sensible und ver­letzliche Frau, die mit Traurigkeit, Verlassenheit und Schicksals­schlägen ringt. Ein besonderer Glücksgriff gelang Regisseurin Lisa Immordino Vreeland mit der Entdeckung der Tonaufnahmen des bislang verschollen geglaubten letzten Interviews, das Peggy Guggenheim gab. Die Originalaufnahmen ziehen sich als roter Faden durch den Film, der im Gefolge dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit auch einen Abriss über die moderne Kunst zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gibt.