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Georg Kühlewind

Wie reden wir miteinander?

Nr 207 | März 2017

Wie oft hat man seinen Mitmenschen wirklich etwas zu sagen? Darin liegt in der Tat eine Wahrheit. Wir können immer wieder feststellen, dass der Erwachsene sehr selten etwas Neues denkt. Es handelt sich aber beim richtigen Reden nicht einfach um neue Gedanken; eigentlich geht es gar nicht um den Inhalt der Rede. Sprechen ist immer ein Sprechen zu und mit jemandem. Daher müssen der Inhalt und das Wie durch den Partner «bestimmt» werden, mit dem wir sprechen. So ist der Inhalt an sich noch nicht das Ganze, er kann gegebenenfalls unwesentlich sein, wenn z. B. der Schwerpunkt der Rede darin besteht, dass man einen Menschen anspricht, um ihn in das Gespräch zu bringen, damit er Trost findet oder sich in menschlicher Gemeinschaft erlebt. Selbstverständlich kann all dies auch ganz schweigend, nur durch das Verhalten angedeutet, vor sich gehen; so ist es sogar besser.
Richtiges Reden bedeutet nicht, dass man nur Weisheiten von sich geben darf, sondern dass es in der aktuellen Situation «richtig» ist. «Ich habe dir jetzt etwas zu sagen» – wobei, das «Etwas» und das «Dir» eine Einheit bilden und keines von beiden allein «richtig» sein kann. Oft ist das «Etwas» schwierig oder gar nicht formulierbar: Das Formulieren soll nicht leicht aufgegeben werden, aber wenn man es nicht vermag, kann ein wortloses Sprechen durchaus stattfinden – es ist oft die bessere Rede.
Wir sprechen immer zu jemandem – es lohnt sich, diesem Gedanken nachzusinnen. Daher sollte die Rede immer individuell sein, dem Gesprächspartner gemäß. Auch ein Vortragender hat dieses Problem, nur noch schwerer, denn er muss meistens ein sehr heterogenes Publikum in Betracht ziehen. Ein Vortrag, wenn er einigermaßen gut ist, ist ein Gespräch: Der Vortragende muss spüren, was bei den Zuhörern ankommt und wann, er muss hören, wie sie zum Gesagten stehen, er muss eingehen können auf vieles, was ihm aus der Zuhörerschaft entgegenweht.
Die Sparsamkeit mit dem Reden hat nichts zu tun mit einer Pose der Wortkargheit: Zu wenig ist nicht besser als zu viel. Rede so, dass der Partner angeregt wird zum Verstehen, du kannst ihm das Begreifen ohnehin nicht abnehmen. Rede so, dass der Partner angeregt wird zum Weiterdenken – vielleicht ist das die bessere Formulierung.
Das Gespräch ist immer eine Quelle von Unerwartetem, von Improvisiertem, desto mehr, je besser das Gespräch ist, und dadurch bringt es Überraschungen mit sich. Deshalb ist ein Gespräch eine andauernde Übung der Geistesgegenwart im wörtlichen Sinne. Viele Menschen haben eben mit dieser Eigenschaft Schwierigkeiten, es fällt ihnen die «gute» Antwort nicht gleich, sondern oft viel später ein, erst nachdem das Gespräch schon beendet ist. Wenn man sich fragt, warum das geschieht, und sich seine Einstellung, seine Gebärden nachträglich vergegenwärtigt, kann man feststellen, dass man eigentlich «unsachlich» war. Die Aufmerksamkeit war geteilt: zwischen dem Thema und vielleicht dem Willen, im Gespräch zu be­stehen, es richtig zu machen, sich behaupten zu können usw. Die Schlagfertigkeit im guten Sinne, dass einem das Richtige im Gespräch einfällt, nicht nachträglich, kann daher durch das Üben der konzentrierten Aufmerksamkeit erworben werden.
Die richtige Rede ist eine Übung und so innerhalb einer begrenzten und im voraus bestimmten Zeitspanne versucht werden soll, nicht ausgebreitet auf den ganzen Tag: so würde ihre Intensität sicherlich nicht ausreichen. Eine kurze, aber intensive Übung wird sich nach und nach auch auf den ganzen Tag auswirken.
Das ganze Leben des Menschen könnte eine richtige Rede sein: ein fernes, fast unerreichbar scheinendes Ziel. Wer aber dem Unerreichbaren nicht zustrebt, wird auch das Erreichbare nicht erlangen.