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Monika Kiel-Hinrichsen

Familie im Fokus 1

Nr 217 | Januar 2018

Wenn Paare Eltern werden

Ines ist seit Tagen morgens übel. Heute hat sie sich kurz entschlossen einen Schwangerschaftstest gekauft. Ines kommen die Tränen, wie gebannt schaut sie auf das Sicht­fenster: positiv! Sie weiß nicht, ob sie weinen oder lachen soll. Gerade hat sie sich in einer Schule beworben. Was wird Sven dazu sagen? Sie haben ein Kind nie ausgeschlossen, aber nun so unerwartet? Sind wir wirklich reif für ein Kind? Sven studiert noch, sie hat gerade ihre Ausbildung als Erzieherin abgeschlossen.
Sven tanzt mit Ines vor Freude durch die Küche, legt seine Hand auf ihren Bauch, an dem nun wirklich noch nichts zu sehen ist, und küsst sie. Wie soll er denn heißen? Wieso er? Vielleicht wird es ja auch ein Mädchen?
Die Schwangerschaftsmonate gehen wie im Fluge dahin. Ines schiebt stolz ihren großen Bauch vor sich her. Sven geht rührend mit ihr um, auch wenn sie manchmal über Rückenschmerzen und Atemnot klagt. Noch haben sie viel Zeit füreinander, doch beide wissen, dass sich dies in ein paar Wochen ändern wird, denn dann werden sie zu dritt sein!
Der Geburtsvorbereitungskurs ist einfach toll! Die Hebamme lässt kein Thema aus. Gestern haben sie über die Veränderung des Beziehungslebens nach der Geburt gesprochen. Eigentlich hat sich bereits jetzt schon vieles verändert. Ines fühlt, wie sie immer mehr mit dem Baby zusammenwächst und Sven manchmal außen vor bleibt.
Mit der Geburt, die für beide das Größte war, was sie je erlebt haben, sind sie jetzt ein Trio. Sven hat recht behalten, es ist ein Junge. Jonas soll er heißen! Sie sind noch am selben Tag aus der Klinik nach Hause, aber im Nachhinein hätten sie sich vielleicht noch eine kleine Schonzeit dort gönnen sollen. Wie gut, dass ihre Hebamme zur Nach­sorge nach Hause kommt.
Stillen, wickeln und schlafen wechseln sich in den nächsten Wochen ab. Jonas hat zwischendrin richtige Schreiattacken, die sich später als Dreimonatskolik heraus­stellen wird. Die jungen Eltern fühlen sich überfordert und binnen kurzer Zeit am Rande ihrer Kräfte. Zwar haben sie in der Vorbereitung davon gehört und auch immer wieder die Empfehlung vernommen, sich ein kleines Netzwerk von Verwandten und Freunden zu schaffen, aber im konkreten Leben fühlt es sich unrealistisch und manchmal «zum Heulen» an. Je unsicherer Ines wird, desto schlechter ist der Milchfluss. Auf­regung und Gereiztheit, die vor lauter Übermüdung zwischen ihnen nicht aus­bleiben, tragen das Ihrige dazu bei. Sven steht oft hilflos neben Mutter und Sohn und erkennt seine Liebste nicht wieder.
Und dann gibt es jene Momente, in denen er tief berührt die «stillende Mutter mit Kind» betrachtet. Welch eine Einheit! Und wohin gehöre ich?, denkt Sven wehmütig. Wie recht hatte die Hebamme, als sie ihnen vom veränderten Familien­system nach der Geburt erzählte. Als Paar lebten sie in einem Zweierbeziehungssystem, der sogenannten «Dyade». Durch Jonas ist eine Triade entstanden. Wie leicht einer aus dieser herausfallen kann, spürt Sven nur allzu gut, denn gerade am Anfang sind Mutter und Kind in ihrer Dyade stark aufeinander be­zogen, während er als Vater dies nur ge­legentlich erlebt.
Aber die Hebamme hat einen entscheidenden Satz gesagt: «Schafft immer wieder – und seien es noch so kleine Momente – Freiräume für eure Partnerschaft. Sie bilden die Säulen für eure Elternschaft!» Sven nimmt sich vor, seine «Dyade» mit Ines neu zu beleben. Als Erstes kreiert er ein kleines Menü für den Abend. Vielleicht gönnt ihnen Jonas ja ein ruhiges Stündchen!