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Monika Kiel-Hinrichsen

Familie im Fokus II

Nr 218 | Februar 2018

Abschied vom Nest

In dieser Woche ist Lukas dran, Mia vor der Arbeit in den Kindergarten zu bringen. Es sind immer noch die Eingewöhnungstage für die Kleine und eigentlich auch für sie als Eltern. Besonders Frieda und Mia fällt der Abschied voneinander nicht leicht. Manchmal dachten Lukas und Frieda schon, es wäre vielleicht doch besser gewesen, sie mit einem Jahr in die Krippe zu geben. Da hatte Mia noch nicht so viel Bewusstsein und hätte sich vielleicht besser lösen können. Es tut gut, dass sie immer wieder von den Pädagogen hören, dass ein solcher Übergang seine Zeit braucht und häufig eine kleine Krise im Leben der Kinder und Eltern hervorrufen kann. Und eigentlich wissen sie auch, dass ihre Entscheidung für sie die richtige war.
Lukas und Frieda hatten sich bereits vor der Geburt viele Gedanken um ihre kleine Familie gemacht. Beide wollten sie ihrem Kind und sich eine ausreichende Bindungs- und Beziehungszeit ermöglichen. Besonders Lukas war es wichtig, seine Rolle als Vater gleichberechtigt neben Frieda wahrzunehmen. Deshalb haben sie sich die 36 Monate Elternzeit aufgeteilt. Für Frieda war klar, dass sie die ersten anderthalb Jahre mit Mia verbringt, was für Lukas manchmal ganz schön schwer war. Er hat sich immer besonders gefreut, wenn sie mehr Zeit zu dritt miteinander verbringen konnten. Als Frieda nach 18 Monaten wieder berufstätig wurde, blieb Lukas zu Hause. Er hat es total genossen, auch wenn es nicht immer leicht für ihn war, Friedas Ansprüchen im Haushalt gerecht zu werden. Mit Beginn des Kinder­gartenjahres arbeiten sie nun beide wieder.
Mia ist an so manchem Tag wie ein Spiegel der neuen Lebenssituation, in der sich alle etwas überfordert fühlen. Sie weint schnell, wacht häufig nachts auf und fängt an zu klammern. Es beginnt jene Phase, die wir als «Abschied vom Nest» kennen: Die Eltern fliegen zur Futterbeschaffung geschäftig hin und her, und klein Mia muss jetzt auch «fliegen lernen». Das ist mit Unsicherheit verbunden – für beide Seiten.
Nach dem ersten Elternabend scheint für Lukas und Frieda der Knoten nun geplatzt zu sein. Es tat gut, sich mit den anderen Eltern auszutauschen und zudem etwas über Mias neue Entwicklungsschritte zu hören. Darüber, dass diese erste Ablösung schrittweise vor sich geht: Abschied und Verlust einer liebgewonnenen Lebensphase, die vor allem dem Kind Kontinuität und Sicherheit gegeben hat. Bevor es zur wirklichen Loslösung kommt, durchschreiten viele Kinder ein Tal der Verunsicherung, die sogenannte «Durchgangs-» oder auch «Trauerphase».
Sie kann mit schnellen Wutausbrüchen und vielen Tränen gepaart sein. In dieser Zeit erwächst dem Kind aber auch ein neues Selbstbewusstsein, das mit jedem «Flug aus dem Nest» von Tag zu Tag zu mehr Eigenständigkeit führt. Hierbei sind ihm seine Eltern in ihrer Haltung und Verlässlichkeit eine große Stütze. Sie gehen ihrem Kind sozusagen voran. Bin ich als Mutter oder Vater unsicher und fällt es mir schwer, mein Kind vertrauensvoll in die Hände der Erzieherinnen und Erzieher zu geben, so kommt diese Botschaft unmittelbar beim Kind an.
Wiederkehrende kleine Rituale wie Küsschen geben, ein kurzes Abschiedslied oder eine kleine Erinnerung an zu Hause, aber auch ein klarer Abschied und sichere Abholzeiten schenken dem Kind das nötige Vertrauen, um Schritt für Schritt zu einem sicheren Kindergartenkind zu werden.
Als Frieda und Lukas nach dem Elternabend den Babysitter ablösen, haben beide die Empfindung, ein Stück tiefer in ihre Eltern­rolle hineingewachsen zu sein und einen neuen «Status» erlangt zu haben: Sie sind jetzt Eltern eines Kindergartenkindes!