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Christian Hillengaß

Durch die Zeichnung denken

Nr 224 | August 2018

Olafur Eliasson studierte von 1989 bis 1995 an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Einen wertvollen Unterricht hat ihm aber auch die Natur erteilt. Insbesondere die Spiele, die Licht, Luft und Wasser spielen, haben den in Island aufgewachsenen Künstler eingenommen. Er hat begonnen, mitzuspielen und setzt das Zusammenwirken der Elemente im Künstlerischen fort. Dabei sind zahlreiche, oft monumentale Installationen entstanden. Zum Beispiel das weather project, mit dem er die große Turbinenhalle der Londoner Tate Modern durch eine orange­rote Sonne zum Glühen brachte. Oder der begehbare Regenbogen, den er in Aarhus auf das Dach des Kunstmuseum stellte. Eliasson taucht ganze Gebäude in Farbnebel, baut sphärische Installationen, Glaspavillons, buntleuchtende Räume oder lässt im Park von Versailles einen riesigen Wasserfall aus der Luft fallen. Es sind vor allem diese Groß­installationen im öffentlichen Raum, mit denen er sich einen Namen gemacht hat – mittlerweile zählt er zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart.
Eine wunderbare Ausstellung in der Münchener Pinakothek der Moderne zeigt ihn jetzt von einer intimeren Seite. In Olafur Eliasson WASSERfarben wird der Künstler auch als Zeichner, Maler und als Schöpfer von zarten, poetischen Werken sichtbar. Zum einen sind hier Skizzen, Aquarelle und kleine Modelle zu sehen, die er als Entwürfe für seine großen Installationen anfertigt. Dabei wird die starke Bedeutung deutlich, die das Zeichnen in seinem kreativen Prozess einnimmt. Die Münchener Ausstellung macht die Verbindung zwischen diesem intuitiven Denken mit Hand und Stift und den realisierten Projekten erlebbar. Es ist geradezu, als ob Eliasson in der Zeichnung denkt. Die Vorstudien veranschaulichen aber nicht nur den Entstehungsprozess von etwas Größerem, sie stehen auch für sich genommen als kleine Kunstwerke da.
Neben diesen künstlerischen Keimzellen werden in München zum anderen Werke von Eliasson gezeigt, die aus seinem direkten Zusammenspiel mit den Elementen ent­standen sind. Da sind zum Beispiel die Zeichnungen, die das Meer selbst gezeichnet hat. Durch eine tintengetränkte Kugel, die an Bord eines Fischkutters über ein Blatt Papier rollt, sind – je nach Seegang – vierzehn unterschiedlichen Grafiken entstanden. Für die Serie Glacial landscape hat er Stücke von Gletschereis auf befeuchtetes Papier gelegt und Aquarellfarbe aufs Eis geträufelt. Durch die Fließbewegung beim Schmelzen wird die Farbe über das Blatt verteilt und zaubert berührend Farblandschaften. Die runden, großformatigen Aquarelle wirken wie unbekannte Ansichten der Erde aus dem Weltall oder wie Bilder ferner Planeten. Durch ihre zarte Schönheit und das schmelzende Gletschereis verbindet Eliasson eine tiefe ästhetische Erfahrung mit einem eindringlichen ethischen Weckruf. Ähnlich wirkt auch The presence of absence – ein Betonquader, in den der Künstler einen Brocken Islandeis ein­gegossen hat, der dann beim Wegschmelzen einen kargen Hohlraum hinterlassen hat.
Wer durch die Räume der Pinakothek geht, begegnet Werken von Eliasson, bei denen nicht das Monumentale, sondern das Elementare im Vordergrund steht. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, dass hier etwas Wesentliches, vielleicht das Wesentliche im Schaffen von Eliasson in den Vordergrund tritt. Denn es ist schade, dass seine kleinen, eher leisen Arbeiten im Schatten der Großen stehen. Gäbe es nur Werke von ihm, wie sie hier gezeigt werden, Olafur Eliasson wäre vielleicht nur halb so berühmt, dafür aber ein echter, ganz be­sonderer Geheimtipp.