Julian Salamon

Licht und Landschaft am Polarkreis

Nr 228 | Dezember 2018

Unterwegs mit einem Fotografen

Als Landschaftsfotograf bin ich stets auf der Suche nach besonderen Orten in der Natur. Weit im Norden, am Rande der Arktis, sind jene ursprünglichen Regionen noch zu finden, die eine besondere Ausstrahlung haben. Hierbei ist die weite Landschaft des arktischen Norwegens von einer besonderen erhabenen Schönheit. Die Ruhe und Klarheit auf diesem Breitengrad wirken wie Balsam für die Seele. Die unberührte Wildnis, die Stille und Einsamkeit sowie das spezielle Licht sind geradezu anziehend und berühren mich immer wieder zutiefst.
Für die Entstehung meiner Landschaftsfotografien verbringe ich oft viele Tage an der gleichen Stelle und versuche, mich ganz auf diesen Ort einzulassen. Nach einiger Zeit – das dauert mal länger, mal geht es rascher – beginne ich eine tiefe Verbundenheit zur Natur zu spüren. Und wenn diese ersten zarten Verbindungen geknüpft sind, dann versuche ich, mithilfe der Kamera dieses Erlebnis einzufangen, es festzuhalten.
In den abgelegenen Gegenden warte ich vor allem darauf, dass das «richtige Licht» erscheint, das jene entscheidende Atmosphäre erzeugt, die ein Bild benötigt. Ich verstehe die Kunst des Fotografierens als Malen mit Licht, dessen Beschaffenheit für den Fotografen essenziell ist. Wie ein Maler seine Farben zu mischen versteht, muss auch ein Fotograf wissen, wie die Lichtverhältnisse das Ergebnis der Darstellung beeinflussen. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich daher schon damit, die Verbindung von Landschaft und Licht darzustellen. Dazu begebe ich mich immer wieder auf die Suche nach ihren unterschiedlichsten Eigenschaften und Qualitäten, die ich mit den Mitteln und Möglichkeiten der modernen Technik einzufangen versuche.

Da viel Zeit nötig ist, bis ein Bild auf diese Weise entstehen kann, sind viel Geduld und noch mehr Ausdauer erforderlich, um die passende Stimmung zu finden. Ganz besonders gilt dies für meine Aufnahmen der Nordlichter. Polarlichter ent­stehen, wenn die geladenen Teilchen des Sonnenwinds auf die Atmosphäre der Erde treffen und dabei Energie übertragen wird. Da der Sonnenwind vom Magnetfeld der Erde abgelenkt wird, lässt sich dieses Phänomen hauptsächlich in den Polarregionen als helles Leuchten am Himmel beobachten.
Die Entstehung des Sonnenwinds steht im direkten Zusammenhang mit der Aktivität des Sonnenfleckenzyklus. Durch Stürme und gewaltige Explosionen auf der Oberfläche der Sonne wird Materie herausgeschleudert, die sich dann als Sonnenwind auf den Weg zu unserem Planeten begibt. Diese wissenschaftliche Erklärung und die Vorstellung, welche Kräfte hierbei wirken, ist durchaus beein­druckend, macht für mich aber nur einen Teil der Faszination aus, die von den Polarlichtern ausgeht.
In der Mythologie vieler nordischer Völker gilt das Nordlicht als Vorbote für Veränderungen, die sich mit seinem Erscheinen ankündigen. Diesen Moment zwischen Ankündigung und Veränderung zu erleben ist für mich immer wieder zutiefst bewegend. Den richtigen Moment abgepasst zu haben, wenn die Nordlichter erscheinen – diesen nächtlichen Zauber am Himmel bestaunen zu dürfen hat etwas Mystisches.

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Fotos: © Julian Salamon | www.julian-salamon.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Um das Polarlicht zu erleben, bedarf es immer eines besonderen Ortes. Dieser muss nicht nur ein ruhiger Ort in der Natur sein, sondern auch fernab von ablenkenden Lichtquellen liegen. Lässt man sich auf diese vollkommene Ruhe ein, kann man das Schau­spiel am Himmel mit mehreren Sinnen wahr­nehmen. Alte und neue Schilderungen berichten beispielsweise von einem «hörbaren Knacken» beim Erscheinen der Nordlichter. Mittlerweile gibt es auch erste Versuche, es aufzunehmen. Die wissenschaftliche Forschung steht jedoch noch ganz am Anfang.
In der Dunkelheit kann das mensch­liche Auge Farben nur begrenzt wahrnehmen, das Farberleben von Polarlichtern ist daher oft individuell sehr unterschiedlich. Manche Farbspektren des Polarlichtes sind zudem nur sehr schwach sichtbar, andere sogar unsichtbar, da dessen Licht auf einer Wellenlänge leuchtet, die wir nicht im Stande sind wahrzunehmen.
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Nordlichter eingebettet in ihre spezielle Umgebung – der Landschaft des arktischen Nordens – zu betrachten. Mit meinen Fotografien möchte ich hierbei den Zusammenhang der Landschaft mit dem Polarlicht vermitteln.
Wie Wolken und Steine in jeder Landschaft eine Einheit bilden, entfalten auch die Polarlichter ihre Wirkung an jedem Erscheinungsort in spezieller Weise. Die Grenze zwischen den letzten Ausläufern des Golfstroms und dem Eismeer ist eine einzigartige Region des arktischen Norwegens, in der sie sich gut beobachten lassen. Besonders gut für die Beobachtung eignet sich das Archipel der Lofoten, das sich vor der Küste Norwegens oberhalb des Polarkreises be­findet. Diese Inselgruppe liegt unter dem weiten und offenen Himmel des Nordens fernab von den störenden Lichtquellen der Städte.

Die hier abgebildeten Fotografien entstanden im Jahr 2012, als sich die Nordlichter besonders eindrucksvoll und wild tanzend am Himmel zeigten. Ihre Intensität stand im Zusammenhang mit der in dieser Zeit starken Aktivität der Sonnenwinde. Jeder meiner Polarlichtfotografien ging eine lange Planungsphase voraus. Für diese Aufnahmen kalkulierte ich den 11-Jahres-Rhythmus der Polarlichter, die Mondphasen und berechnete die genaue Länge von Tag und Nacht. Meine Aufnahmestandpunkte richtete ich entsprechend den Sichtachsen aus. Für eine Spiegelung des nächtlichen Schauspieles wählte ich eine Bucht mit Korallenstrand auf den Lofoten. Bei Ebbe bildet das ablaufende Wasser auf dem weißen Sand einen perfekten Spiegel für das Himmelsgeschehen.
Viele meiner Fotografien sind beim letzten Übergang der Dämmerung in die Nacht entstanden – in jener Stimmung, wenn nur noch ein sehr kleiner Rest Tageslicht am Horizont vorhanden ist. Es ist der Zeitpunkt nach der sogenannten «nautischen» und der darauffolgenden «astronomischen Dämmerung». Die Sonne steht dann bereits 12-15 Grad unter dem Horizont, doch der Himmel reflektiert noch ihr verbleibendes Licht. Dieser letzte Augenblick zwischen Tag und vollständiger Nacht hat für mich etwas Geheimnisvolles. Die Natur kommt gänzlich zur Ruhe. Ganz so, als würde sie für einen Moment den Atem anhalten. Nach meiner Erfahrung zeigen sich auch meist zu diesem Zeitpunkt die Nordlichter.

Ständig wechselndes Wetter und das trotz aller Planung nicht genau vorhersehbare Erscheinen der Nordlichter machen das Fotografieren zu einer Geduldsprobe und schenken zugleich Glücksmomente ungekannter Intensität, wenn die Nordlichter ihr Spiel beginnen. Jedes Bild ist in seiner Entstehung somit einzigartig – und jede Nacht im arktischen Norden für mich ein außergewöhn­liches Erlebnis.
Lange schon beschäftige ich mich besonders intensiv mit der ursprünglichen nordischen Landschaft, die im Grenzgebiet zur weißen schneebedeckten Arktis liegt und über Jahrtausende gewachsen ist. Das zauberhafte weiche Licht des Nordens beleuchtet die Klarheit, Ruhe und spezielle Farbigkeit dieser Erdregion. Die Steine und Berge scheinen dort von einer ganz eigenen Kraft geprägt, die vor Ort geradezu spürbar ist. Ich fühle mich vor allem von jenen Landschaften angezogen, die noch in ihrer Ursprünglichkeit erhalten geblieben sind. Und bevor ich mich auf die Suche nach Bildmotiven begebe, ist es mir immer ein Bedürfnis, zuerst eine emotionale Beziehung zur Gegend herzustellen.