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Monika Kiel-Hinrichsen

Familie im Fokus XII

Nr 228 | Dezember 2018

Trennung fängt vor dem Abschied an

Seit dem gestrigen Gespräch herrscht beklommene Stille im Haus. Eik und Lucia haben es lange vor sich hergeschoben, mit ihren drei Kindern – Jolande (15), Ragna (12) und Tibor (10) – über die bevorstehende Trennung zu sprechen. Manchmal war es ihnen selbst gar nicht so klar, wo sie gerade stehen.
Doch seit einem Jahr schwebt die Trennung wie ein Damoklesschwert über ihnen. Oft gab es laute Wortgefechte, nach denen Eik wütend das Haus verließ und in der Kanzlei übernachtete, während Lucia frustriert zurückblieb. Ein Zustand, der auch für die Kinder immer unerträglicher wurde. An solchen Abenden krabbelte Tibor zu Lucia ins Bett und Ragna suchte Trost bei Jolande.
So richtig verstanden haben sie nicht, welche Gefechte zwischen ihren Eltern ausgetragen wurden, doch war für Jolande spürbar, dass ihr Vater der Tonangebende ist. Einmal haben sie so laut gestritten, dass sie dazwischenging und zu schlichten versuchte. Danach gab es sogar gemeinsame Ferien in Norwegen. Das schien schön für alle. Aber als sie wieder zu Hause waren, dauerte es nicht lange und die Streitereien gingen weiter.
Das Aggressionspotenzial stieg sogar an und sorgte für noch tiefere Verletzungen. Bis Lucia die Reißleine zog. Die Kinder sollten nicht weiter Zeugen und Leidtragende ihrer Spannungen sein.
In der darauffolgenden Trennungsbe­ratung gab es für Eik und Lucia ein Aha-Erlebnis als sie erfuhren, dass die meisten Paare vor der wirklichen Trennung eine Ambivalenzphase durchlaufen, in der die Kinder oft Rettungsversuche für die Eltern übernehmen. Genau das war der Punkt für Lucia und Eik, die Verantwortung für sich selbst deutlicher in die Hand zu nehmen und damit ihre drei Kinder zu entlasten!
Ein nächster Schritt in der Trennungsphase war das offene Gespräch mit den Kindern, in dem ihnen klar wurde, dass jetzt der eigentliche Trauerprozess der Kinder – aber irgendwie auch für sie – begonnen hat: Das Abschiednehmen von ihrem bisherigen Familienleben!
Während Jolande bereits eine Trennung ihrer Eltern in Erwägung gezogen hat, wollen Ragna und Tibor diese nicht wahrhaben, was sie mit lautem Protest ihren Eltern auch aggressiv entgegenschleudern. Aber auch darüber haben Lucia und Eik zum Glück in der Beratung gesprochen und können dadurch etwas besser damit umgehen: Kinder entwickeln oft Hoffnungen und Rückkehr­illusionen, bevor sie die Trennung akzeptieren und den Verlust betrauern können. Erst dann folgt – im besten Falle – Versöhnung und neues Vertrauen in die Liebe zu den Eltern.
Aber um «Vertrauen» geht es gerade bei Eik und Lucia nicht. Eik möchte, dass sie das gemeinsame Haus verkaufen. So kann jeder für sich «neu anfangen». Das aber nimmt Lucia den Boden unter den Füßen weg.
«Die Kinder brauchen doch ihr vertrautes Zuhause», entgegnet sie ihm, «wenn sich sonst schon alles verändert!» Eik aber hält es für sinnvoll, auch das Zuhause der Kinder neu zu definieren. «Sie können doch wechseln zwischen uns beiden – und dann ist das Haus viel zu groß für einen von uns.»
Doch Jolande will ganz klar bei Lucia und im Haus bleiben und auf keinen Fall immer wöchentlich hin- und herpendeln. Tibor möchte mit Papa gehen. Wer spielt denn sonst abends mit ihm Fußball? Aber was ist mit Mama, wenn er bei Papa ist? Ragna möchte ihren Eltern gleichermaßen gerecht werden. Sie weiß noch gar nicht so recht, was sie will und fühlt sich einfach über­fordert.
Lucia und Eik müssen noch einmal durch das Nadelöhr des «Von-sich-Ab­sehens» gehen, denn sie werden durch die Trennung zwar frei voneinander als Paar, aber Eltern bleiben sie ein Leben lang. Nun müssen sie ihre individuellen Wünsche und die der Kinder in eine Waagschale werfen – und gut darauf achten, welche mehr Gewicht haben werden, und zwar jenseits der eigenen Egoismen.