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Sebastian Hoch

Immer mehr zu lieben

Nr 236 | August 2019

Zum 200. Geburtstag von Clara Schumann

Großblütiges Mädchenauge, Trichtermalve, Korallenraute. Rund dreißig verschiedene Blumenarten – mal zu einem kleinen Sträußchen gebunden, mal als einzelne Blüte, immer aber fein säuberlich gepresst – bezeugen private Erinnerungen wie einschneidende Ereignisse und schenken Einblicke in das ungewöhn­liche Leben einer ungewöhnlichen Frau.
Bienenweide, Klatsch-Mohn, Marien­distel. Die liebevoll gestalteten floralen Grüße aus dem Seelenleben der am 13. September 1819 in Leipzig als Clara Josephine Wieck geborenen, seit der Heirat mit Robert als Clara Schumann bekannten Künstlerin kommen­tieren in den zwischen 1854 und 1857 entstandenen drei Blumentagebüchern die Gefühlswelten dieser schon in jungen Jahren gefeierten Konzertpianistin, einflussreichen Musikpädagogin, geschäftstüchtigen Herausgeberin und nicht zuletzt feinsinnigen Komponistin, für die «die Ausübung der Kunst … ja ein großer Theil meines Ichs» war. «Es ist mir die Luft, in der ich athme», schrieb sie einmal.
Steinkraut, Rittersporn, Akelei. Claras Bouquets, kleine Tüten mit Blumensamen, erinnern liebevoll an den romantischen Geist der Blumentagebücher und sind dabei zugleich charmanter Teil von CLARA19, dem umfangreichen Jubiläumsprogramm der Schumannschen Geburtsstadt Leipzig, das zahlreiche Akteure – vom Gewandhaus bis zur Kulturwerkstatt KAOS, vom Schumann-Haus bis zum Grassi-Museum für Musik­instrumente – anlässlich des 200. Geburtstags dieser für ihre Zeit hervorstechend modernen und facettenreichen Frau gestalten.
Schon im Alter von neun Jahren begann für Clara Schumann unter dem gestrengen Diktat des Vaters ein öffentliches Leben als Wunderkind und Tastenkönigin, startete sie eine über sechs Jahrzehnte anhaltende Karriere als anerkannte, vielfach geehrte und hoch dekorierte Künstlerin. Maßgeblich prägte sie als erste und für lange Zeit auch einzige weibliche Leiterin einer Klavierklasse am renommierten Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt den allmählichen Wandel des öffentlichen Konzertlebens ihrer Zeit hin zu anspruchsvollen und am musikalischen Inhalt orientierten Formaten. Clara Schumann, achtzehnjährig von Kaiser Ferdinand I. in Wien zur «k.k. Kammervirtuosin in Gnaden» ernannt, pflegte ein gleichermaßen selbst­bewusstes wie selbstständiges künstlerisches Wirken auf Augenhöhe mit nahezu allen namhaften Akteuren ihrer Zeit, mit welchen sie in regem und meist respektvollem Austausch stand. Allen voran mit ihrer großen Liebe, dem Komponisten und Musikschriftsteller Robert Schumann, den zu ehelichen zwar auf energischen Widerstand ihres Vaters traf, nach langem Ringen schließlich aber per Gerichtsurteil möglich wurde.
Doch in die musikalische Symbiose und das familiäre Glück der beiden belastete bald schon manch schwerer Schicksalsschlag und schließlich der frühe Tod von Robert, den Clara um knapp vierzig Jahre überlebte. Entgegen aller Erwartungen der Zeit an eine Frau und achtfache Mutter verfolgte sie, finanziell auf sich allein gestellt, auch in der zweiten Hälfte ihres außergewöhnlichen Lebens selbstbestimmt die eigene künstlerische Karriere und arbeitete zugleich umsichtig wie konsequent daran, als Herausgeberin des Gesamtwerkes von Robert dessen kulturelles Erbe zu gestalten. Und damit auch ihr eigenes.
«Wird nicht unser Gesicht vor Freude leuchten, wenn wir ihrer gedenken? Der herrlichen Frau, deren wir uns ein langes Leben hindurch haben erfreuen dürfen – sie immer mehr zu lieben und zu bewundern.» Diese Worte des Komponisten Johannes Brahms, einem mehr als nur guten Freund und Be­gleiter, stehen wie ein Leitmotiv auch über CLARA19. Von Tanz bis Theater, von Konzerten bis zum Geburtstagsessen für Clara mit Originalrezepten ihrer Zeit – in über 170 Veranstaltungen feiert Leipzig seit Beginn des Jahres das Vermächtnis dieser bewundernswerten Frau. Und auch das letzte, sogenannte Berliner Blumentagebuch wurde zum Jubiläum bei Breitkopf & Härtel, Schumanns einstigem Verlag, zu unser aller Freude wieder aufgelegt.