Jean-Claude Lin

Ach wie glücklich bin ich

Nr 237 | September 2019

Clara Schumann zum 200. Geburtstag

«Du warst noch viel kleiner als jetzt», schreibt Robert Schumann an das Mädchen Clara Wieck im Rückblick auf den Sommer 1831, «vielleicht erst zwölf Jahre, als wir eines Abends so recht vergnügt nach Hause wandelten, nicht wie öfters mit Scherzen und Zanken, sondern gemütlich. Du gingst kaum einen Schritt vor mir, und ich hörte wie Du ganz leise mit Dir selber sprachst und die Hände dazu in die Höhe hobst mit den Worten ach wie glücklich bin ich. Noch hör ich es. Oft dachte ich schon damals, Du liebtest mich; und Du liebtest mich auch, wie Du es durftest.»
Das sind innige Worte des neun Jahre älteren, am 8. Juni 1810 in Zwickau geborenen Robert Schumann an Clara, die am 13. September 1819 in Leipzig geborene Tochter seines Klavier- und Kompositionslehrers Friedrich Wieck. Die Worte gibt Dieter Kühn in seinem «Lebensbuch» über Clara Schumann dankenswerterweise wieder. Am 1. August 1828 hatte Schumann ange­fangen Klavier- und Kompositionsstunden beim ehrgeizigen Pianisten und Klavierhändler Friedrich Wieck zu nehmen. Clara dagegen wurde schon seit ihrem fünften Geburtstag vom Vater im Klavierspiel und im Komponieren unterrichtet. Am 20. Oktober 1828 hatte sie mit neun bereits ihren ersten öffentlichen Auftritt als Pianistin im Leipziger Gewandhaus, am 8. November 1830 gab sie dort ihr gefeiertes erstes eigenes Konzert, vom Vater auf eigenes Risiko organisiert.

In diesem Clara so glücklich stimmenden Jahr 1831 ist auch ihr drittes Werk entstanden, die Romance variée pour le piano op. 3, das sie Robert Schumann widmet und ihm 1833 beim Erscheinen übergibt – mit den Zeilen versehen: «Ihre so geistreiche Bearbeitung dieses kleinen musikalischen Gedankens soll die meinige schlechte wieder gut machen, und somit ersuche ich Sie denn um dieselbe, da ich dessen nähere Bekanntschaft kaum erwarten kann.» Tatsächlich antwortet Robert Schumann, nach anfänglicher Mühe, mit seinen 1833 erscheinenden Impromptus sur une Romance de Clara Wieck op. 5, in denen das Thema Clara Wiecks nicht in den Variationen dauernd präsent ist, sondern als Bass in vielfacher Weise in Erinnerung gerufen wird.
Schon seit ihrem neunten Lebensjahr ist die junge, leidenschaftliche, zuweilen launische und wilde Clara in vielen Städten deutscher Länder mit vom Vater organisierten Vorspielen und Konzerten unterwegs. Ab September 1831 unternimmt sie für mehrere Monate eine ausgedehnte Konzertreise über Weimar, Erfurt, Gotha, Kassel, Darmstadt bis nach Paris, wo sie im Februar 1832 eintrifft und bis Mitte April weilt. Erst am 1. Mai sind Vater und Tochter wieder in Leipzig. Robert hatte also guten Grund, sich als Bass zu empfinden, der in seinen Variationen zum Thema von Clara auf verschiedene Art meinte, sich in Erinnerung rufen zu müssen.

Auf dieser langen Konzertreise kommt ein Werk Chopins – die Variationen in B-Dur zu einem Thema aus Mozarts Oper Don Giovanni, Là ci darem la mano op. 2 – immer wieder zur Aufführung, das Clara Wieck in nur «8 Tagen einstudierte», wie es in dem von ihr gemeinsam mit ihrem Vater geführten Tagebuch heißt. Es «ist das schwerste Musickstück, was ich bis jetzt gesehen und gespielt habe. Diese originelle geistreiche Komposition ist noch so wenig erkannt, daß sie fast alle Klavierspieler und Lehrer für unverständlich und unspielbar halten» (Clara Schumann, Jugendtagebücher 1827 – 1840, herausgegeben von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich, erschienen 2019 im Georg Olms Verlag. Eintrag zum 8. Juni 1831). Es ist ein herrliches, von Lebensenergie und -freude durchdrungenes, fulminantes Werk mit dunklem, geheimnisvollem Untergrund in tänzerischem Glanz – wie gemacht für die junge Ausnahmepianistin.

Ihr eigenes Werk für Klavier und Orchester, das Klavier­konzert in a-moll, Premier Concert pour le Piano-Forte avec accompagnement d’Orchestre (ou de Quintuor) op. 7, das Clara Wieck in den Jahren 1833 – 1835 komponierte und am 9. November 1835 von ihr zusammen mit dem Gewandhausorchester unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy uraufgeführt wurde, erhielt in der Zeitung für die elegante Welt vom 16. November 1835 ein etwas gemischtes Echo: «Concert-Compositionen gewähren dadurch einen eigenthümlichen Reiz, daß der Künstler, indem er hier nur für sich selbst schreibt, seine eigenste Persönlichkeit unmittelbar in ihnen niederlegt. Spiel, Fingersatz, Vortrag, Gemüthsstimmung und Begeisterung gehen hier am einträchtigsten zusammen, und sind in Summe nur ein einziger Abdruck der inneren Persönlichkeit des Virtuosen. Sollen wir nun nach einmaligem Anhören der Composition der sechzehnjährigen Künstlerin ein unmaßgebliches Gutachten hinstellen, so möchte hier vor allen Dingen die Ansicht Raum finden, daß sich in dem Tonstücke, als Ganzes betrachtet, eine gewisse romantische Unklarheit hörbar machte. Es wurden Passagen, Rhythmen und musikalische Gedanken darin laut, die sich nicht austönten, einander verdrängten, oder nicht selten der Verbindung ermangelten. Das Product trägt die Eigenheiten eines erwachenden, noch nicht zur bestimmten ihm eigenthümlichen Richtung erwachten Talents an sich, das in der Regel viele Töne anschlägt, ehe es den eigenen Ton findet. An Einzelheiten war viel Treffliches; besonders merkwürdig und charakteristisch im Vortrage der jungen Künstlerin waren einige melancholische Accorde.» (Zitiert nach Clara Schumann, Jugendtagebücher 1837 – 1840, S. 201.)

Dass dieses lyrisch so bewegte Werk eine weitaus eindrücklichere Einheit und erstaunliche Reife zum Ausdruck bringt, kann mit Begeisterung in der Aufnahme Ragna Schirmers gehört werden – zusammen mit der Staatskapelle Halle unter der Leitung von Ariane Matiakh (Clara bei Berlin Classics).
Dennoch ist wohl zu bemerken, dass sich Clara Schumann insbesondere nach ihrer Heirat mit Robert Schumann am 12. September 1840 in Leipzig – die sie gegen den Willen ihres Vaters durchsetzt – und der Geburt ihrer acht Kinder in ihren Konzerten fast nur noch der Vermittlung der großen bedeutendsten Werke für Klavier widmet und nicht mehr selbst komponiert.
So hat sie durch ihr so leidenschaftlich hellhöriges Spiel ausgerechnet in Wien 1838 die Neuentdeckung von Beethovens Klaviersonate in f-moll, op. 57, der sogenannten Appassionata, bewirkt. Franz Grillparzer fasste mit dem hier wiedergegebenen Gedicht Clara Wieck und Beethoven sein Erlebnis für die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode vom 9. Januar 1838 zusammen.

Ein Wundermann, der Welt, des Lebens satt,
Schloß seine Zauber grollend ein
In festverwahrten, demantharten Schrein,
Und warf den Schlüssel in das Meer und starb.
Die Menschlein mühen sich geschäftig ab,
Umsonst! kein Sperrzeug löst das harte Schloß
Und seine Zauber schlafen, wie ihr Meister.
Ein Schäferkind, am Strand des Meeres spielend,
Sieht zu der hastig unberufnen Jagd.
Sinnvoll-gedankenlos, wie Mädchen sind,
Senkt sie die weißen Finger in die Flut,
Und faßt, und hebt, und hats. – Es ist der Schlüssel!
Auf springt sie, auf, mit höhern Herzensschlägen,
Der Schrein blinkt wie aus Augen ihr entgegen.
Der Schlüssel paßt. Der Deckel fliegt. Die Geister,
Sie steigen auf und senken dienend sich
Der anmutreichen, unschuldsvollen Herrin,
Die sie mit weißen Fingern, spielend, lenkt.

Über 1300 Auftritte als Pianistin sind von Clara Wieck Schumann dokumentiert. Ihr letztes öffentliches Konzert gab sie am 12. März 1891. Am 20. Mai 1896 starb sie, eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts. Sie trug phantasiereich, leidenschaftlich und mit Ausdauer die Musik ins Leben. Ach wie glücklich bin ich!