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Elisabeth Weller

Väter und Söhne

Nr 239 | November 2019

Deutschstunde von Christian Schwochow, eine Neuverfilmung des Nachkriegsklassikers von Siegfried Lenz

«Die Freuden der Pflicht» – so lautet das Auf­satzthema. Kein Wunder, dass das Heft von Siggi Jepsen, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Erziehungsanstalt sitzt, zunächst leer bleibt. Aber dann drängt sich ihm die Gestalt seines Vaters, des Polizisten eines nord­deutschen Dorfes, mit aller Macht auf. Der Goldene Kamera-Preisträger Ulrich Noethen verkörpert ihn in der Kinoverfilmung Deutschstunde als perfekten Untertan. Seine strengen Züge lösen sich in zwei Schlüssel­szenen auf erschreckende Weise: als sein absoluter Gehorsam seine zwei Söhne hinter Gitter bringt. Regisseur Christian Schwochow lässt es dabei nicht an deutlich sprechenden Details mangeln. Als der vom Vater denunzierte Sohn Klaas von den SS-Schärgen vom Hof geschleift wird, kaut er genüsslich auf einem Strohhalm. Und als Siggi nach dem Krieg in Handschellen gelegt wird, reibt er sich wie nach getaner Arbeit die Hände. Damit zeichnet das Drehbuch von Heide Schwochow, der Mutter des Regisseurs, die Figur des Vaters als den griechischen Gott Kronos, der seine Kinder verschlingt. Es ist das fünfte gemeinsame Filmprojekt der letztjährigen Grimme-Preisträgerin und ihres Sohnes.
Lenz schuf mit seinem Erfolgsroman Deutschstunde 1968 eine Parabel, die die Zerstörung menschlicher Beziehungen in einem autoritären System zeigt. Der Dorf­polizist Jepsen muss seinem Jugendfreund, dem Maler Nansen, ein von den Nazis verhängtes Malverbot überbringen. Immer stärker steigert er sich in die Überwachung dieses Verbots hinein. Dabei baut er auf die Hilfe seines Sohnes Siggi, genau wie der Maler, der sich dem Verbot widersetzt und dessen Bilder Siggi retten will. So gerät der Junge in einen tragischen «Väter-Konflikt».
Lenz befeuerte mit seinem Nachkriegsklassiker die kollektive Vergangenheitsbe­wältigung. 50 Jahre später, sei dieser, so Jutta Lieck-Klenke, eine der drei Filmproduzenten, aktueller denn je: «Ein Teil der deutschen Gesellschaft hat sich nach rechts bewegt. Wir müssen uns unbedingt weiter mit der auto­ritären Persönlichkeit auseinandersetzen.»
Christian Schwochow (1978 geboren) hat bereits 2012 mit seinem Zweiteiler Der Turm einen Roman (von Uwe Tellkamp) verfilmt und mit Paula (der Malerin Paula Modersohn-Becker) im Jahr 2016 ein Künstlerbiopic realisiert. In der Deutschstunde geht es auch um das Leben eines Künstlers. Tobias Moretti, der diesen Gegenspieler zum Polizisten als integren Freigeist und unerschütterlichen Menschenfreund spielt, trägt Züge Emil Noldes. Der Expressionist, dem 1941 jede künstlerische Betätigung verboten wurde, war trotzdem Mitglied der NSDAP und Anti­semit. Als Lenz den Text schrieb, war das Nazi-Geheiminis Noldes noch nicht bekannt. Die intensiven Farben seiner Bilder, die damals als «entartet» gebrandmarkt wurden, stehen im Film im symbolischen Kontrast zu den graugetönten und sepiafarbenen Landschaften. Die düstere Welt wird durch den rot schillernden Morgenmantel der Ehefrau des Malers und die aufmüpfig rote Schleife am Hut der Schwester von Siggi nur sparsam, aber dadurch auffallend koloriert; sie sind Zeichen des Widerstands.
Am Ende hat sich Siggi (als Junge eindrucksvoll gespielt vom jungen Levi Eisenblätter) in einem ganzen Stapel von Aufsatzheften die Väter von der Seele geschrieben. Schade nur, dass bei der filmischen Umsetzung seine ironisch-distanzierte Stimme verloren geht, die im Roman auf humorvolle Weise das Schweigen bricht. Dafür entführt er uns mit starken Darstellern für mehr als eine Stunde in einen Teil überwunden geglaubter deutscher Geschichte, die in die Gegenwart schwappt.